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Khai schob Sprosse für Sprosse in die Löcher und kletterte aufwärts. Dicht unter dem Brunnenrand verharrte er und lauschte. Das erste, was ihm auffiel, war das Schweigen der Vögel. Er erinnerte sich nicht, jemals einen Tag erlebt zu haben, an dem die bunt gefiederten kleinen Sänger stumm geblieben waren. Dafür hörte er aus einiger Entfernung fremde, merkwürdige Geräusche. Es waren Stimmen in einer Sprache, die er nicht verstand, und eine für sein Ohr sehr seltsame, stotternde Musik. Neugierig spähte er über die Brunnenmauer. Der Anblick verschlug ihm den Atem. Die große Versammlungshütte war bis auf die Stützpfähle niedergebrannt. An manchen Stellen glomm das Holz noch, und aus den verkohlten Resten krochen hier und da dünne Qualmfäden. Einen Menschen entdeckte er nirgends. Auch die Feuervögel schwebten nicht mehr am Himmel. Vorsichtig stieg er aus dem Brunnenschacht und wandte sich in die Richtung, aus der die eigenartige Melodie kam. In jeder Sekunde zur Flucht bereit, pirschte er sich vorwärts, auch die geringste Deckung ausnutzend.
Ein Dorf namens Gui gab es nicht mehr. Keine Hütten, keine Stallungen, keine Gärten mit Teesträuchern, mit Litschibäumen voller sauersüßer, saftiger und grüner Früchte, mit Bananenstauden oder Arekapalmen. Überall nur schwärzliche Aschehaufen und verbrannte Erde. Auch in den Reisfeldern ringsum schwelte noch die tötende Glut des Napalms. Über eine Stunde lang hatten immer neue Hubschrauber Feuer gesät, dann waren die Soldaten über die Hänge der Schlafenden Büffel in die kleine Ebene eingefallen. Drei- oder vierhundert Mann. Amerikaner, hemdsärmelig, Gummi kauend und bis an die Zähne bewaffnet.
Noch einmal flackerte bei ihrem Anmarsch Widerstand auf, den der Flammenteppich nicht zu ersticken vermocht hatte. Sie schickten gegen jeden Schuss einen Hagel aus Kugeln und Gewehrgranaten, bis auch der letzte Funke Leben erlosch.
Khai lag hinter den Trümmern eines Büffelkarrens und beobachtete die weißhäutigen Soldaten. Teilnahmslos wie eine Filmkamera fing sein Blick die schrecklichen Bilder ein. Sein Denken und Fühlen war wie gelähmt. Was er sah, kam ihm so unwirklich und gespenstig vor, als wäre er auf einen anderen Stern geraten.
Am Rande der freien Fläche, die noch am Morgen der Dorfplatz gewesen war, hatten die amerikanischen Soldaten ein Zelt aufgebaut. An einer der Seitenstützen baumelte an einem Lederriemen ein Transistorradio. Aus dem Lautsprecher polterte eine Musik in hartem Rhythmus. Etwa fünfzig Schritt vom Zelt entfernt lagen aneinandergereiht die Opfer des Überfalls. Tote Frauen, tote Männer, tote Kinder, tote Greise. Ein baumlanger Amerikaner mit Korporalswinkeln am Blusenärmel fotografierte. Viele der Getöteten hatten schlimme Wunden, manche waren vom Napalmfeuer bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Auffällig bei den Erwachsenen war, dass sie fast alle die Hände noch im Tod zu Fäusten geballt hielten.
Als Khai in der Reihe seine Eltern erkannte, wich die Starre von ihm. Er grub seine Zähne in den Handrücken, um einen Aufschrei zu ersticken. Hua darf das nicht sehen, dachte er. Wenn die Nacht da ist, werden wir in den Dschungel gehen, und dort werde ich ihr alles erzählen. Denn wenn sie es sähe, würde sie schreien. Und wenn sie schrie, würde sie von den weißen Teufeln ermordet. Es gab nur den Weg in den Dschungel ... Und was dann? Khai wusste noch keine Antwort auf diese Frage.