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Sie machte Frieden. Maria Theresia und andere Erzählungen von Sigrid Grabner
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
05.05.2022
ISBN:
978-3-96521-665-5 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 206 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Biografisch, Belletristik/Moderne Frauen
Biografischer Roman, Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Matilde von Tuszien, Papst Gregor VII., Canossa, Caterina von Siena, Königin Johanna von Spanien, Francisco Borja, Vittoria Colonna, Michelangelo, Maria Theresia, Österreich, Friedrich II., Preußen, Heilige, Schlesische Kriege
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Das Feuer brannte noch immer in ihm, es verzehrte ihn nicht. Sich aufrichtend, sagte sie: „Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid. Ich fürchtete, Giulias Bote hätte Euch nicht erreicht.“ Die Nonne legte Vittoria ein Kissen unter die Schultern und verließ den Raum.

„Ich bin, so schnell mich meine alten Füße trugen, zu Euch geeilt. Und ich freue mich, Euch heute so wohlauf zu finden“, erwiderte Michelangelo, während er einen Stuhl an ihr Bett schob.

Vittoria winkte ab. „Lassen wir die Höflichkeiten. Wir beide waren niemals Freunde leerer Worte. Es bleibt uns nicht viel Zeit. Der Tod steht schon im Raum. Meine irdischen Angelegenheiten sind bestellt. Nun will ich von Herzen um Vergebung bitten, wenn ich Euch gekränkt habe, wenn ich Eurer Zuneigung zu kraftlos begegnet bin.“

„Ihr mich um Vergebung bitten …!“ Michelangelo sprach lauter, als er es gewollt hatte. Er ballte die Hände zu Fäusten und drückte sie gegen die Knie. Begehrte auf gegen Vittorias ruhige Worte.

Viele Abschiede hatte es in seinem Leben gegeben, von Eltern, Geschwistern, Freunden. Einer nach dem anderen gingen sie. Jedes Mal stand er dem Tod hilflos gegenüber, jedes Mal starb etwas in ihm. Dieser Abschied traf ihn am schwersten. Wer sollte ihm noch raten, ihm helfen an des Grabes Schwelle?

Um die Freundin und sich selbst abzulenken, begann er von der Vergangenheit zu reden. „Denkt Ihr manchmal an unsere erste Zusammenkunft im Garten von San Silvestro? Damals lebte Kardinal Contarini noch. Der junge Morone erzählte von seiner Reise nach Deutschland. Auch Reginald Pole war zugegen. Ein Spätfrühlingstag …“

Vittoria erinnerte sich. Der Garten am Abhang des Monte Cavallo. Weiß und rot blühte der Oleander, lila brach der Akanthus auf, gelb der Ginster, es duftete nach Kräutern. Ein Blütenteppich breitete sich über die Stadt. Viel zu schnell verwelkte er unter dem Fieberhauch des römischen Sommers.

Vittoria hatte lange auf eine Begegnung mit dem Schöpfer der Pietà und des Deckengemäldes von der Erschaffung der Welt warten müssen. Solange er in Rom lebte, mied er Festlichkeiten, wo sie ihn, damals noch jung und glücklich, hätte treffen können. Nach dem Tode des großen Papstes Julius II. kehrte Michelangelo in seine Heimatstadt Florenz zurück. Der jetzige Papst Paul III. holte ihn wieder nach Rom. Michelangelo sollte ein Wandgemälde in der Sixtinischen Kapelle schaffen. Der Meister wehrte sich, er sei kein Maler, sondern Bildhauer. Papst Paul ließ sich nicht abweisen. Mit Überredungskunst und leisem Zwang stimmte er Michelangelo um.

An jenem Frühlingstag, als Vittoria den Künstler in ihrem Kreis willkommen hieß, arbeitete er schon an dem Wandgemälde des Jüngsten Gerichts. Noch konnte sich niemand eine Vorstellung von der Komposition machen, denn Michelangelo duldete keine Neugierigen.

Während Fra Ambrosio, einer der berühmtesten Prediger des Papstes, den Zuhörern in der Kapelle von San Silvestro die Briefe des Apostels Paulus erklärte, betrachtete Vittoria Michelangelo. Den Kopf in die Hand gestützt, die Augen halb geschlossen, wirkte er müde und traurig. Die tiefen Furchen in seinem Gesicht verrieten schlaflose Nächte und Ungenügen an sich selbst. Vittoria ahnte, dass dieser Mann in seiner grenzenlosen Hingabe an das Werk einsam war. Für ihn selbst traf zu, was er über Dante geschrieben hatte: Vom Himmel kam er, zog in Höllenschlünden, den rächenden und sühnenden, die Fährte und stieg zu Gott, ein Sterblicher, uns lautre Wahrheit zu verkünden.

Der Maler Sebastiano hatte Vittoria erzählt, dass Michelangelo Geselligkeit, wenn sie ihn von seinen ernsten Gedanken abzog, nicht liebte. Die Freunde Vittorias vergeudeten ihre Zeit nicht mit höflichem Geplauder. Nachdem Fra Ambrosio gegangen war, sprach man über die Vorgänge in Deutschland und darüber, ob das von Papst Paul angekündigte Konzil eine Kirchenspaltung verhindern könnte. Das Wort führte Kardinal Contarini, das Haupt der Gemäßigten in der Kurie. Bevor ihn Papst Paul zum Kardinal ernannt hatte, war er der Gesandte Venedigs bei Kaiser Karl V. gewesen. Aus eigener Anschauung kannte er die Zustände in Deutschland und Holland und die Klagen, die man dort gegen die Selbstherrlichkeit der römischen Päpste führte. Schon dem Vorgänger von Papst Paul hatte er dringend zu Reformen geraten. Vittoria und ihre Freunde hofften, Contarini könnte den Streit zwischen Rom und den Lutherischen beilegen.

Sorgenvoll meinte der Kardinal: „Die Fanatiker auf beiden Seiten werden es uns schwer machen. Nichts ist spitzfindiger als die Unwahrheit. Dabei trennen uns von den Protestanten in Deutschland nur die Missbräuche in der Kirche, welche sie so lebhaft und zu Recht angreifen. Die Lehren des Martinus Luther erwachsen aus ihnen. Wir müssen endlich anerkennen, dass nur jene Herrschaft gottgewollt und von Dauer ist, die auf die Vernunft baut und den freien Willen der Regierten achtet. Nicht nach Belieben soll der Papst befehlen oder verbieten oder dispensieren, sondern nach der Regel der Vernunft, der göttlichen Gebote und der Liebe. Doch ich fürchte, weder in Wittenberg noch in Rom will man wirklich eine Versöhnung auf dieser Grundlage.“

Giovanni Morone, damals noch Bischof von Modena und mehr als zwanzig Jahre jünger als Contarini, widersprach. Er glaubte an die Vernunft und an eine baldige Reform der einen katholischen Kirche.

Reginald Pole, der vor Heinrich VIII. aus England hatte fliehen müssen, gab zu bedenken, dass Veränderungen mehr Zeit brauchten, als ungeduldige Jugend und selbst das weise Alter annehmen. Sich an Michelangelo wendend, der bis jetzt schweigend das Gespräch verfolgt hatte, sagte er: „Ihr, verehrter Meister, kennt gewiss das von Seneca überlieferte Wort des Hippokrates: Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang. Muss nicht auch der Künstler mit inneren und äußeren Widerständen ringen? Zieht sich dieser Kampf nicht durch alle Zeiten?“

Statt einer Antwort zitierte Michelangelo den Vers des Horaz: Malern und Dichtern war es von jeher erlaubt, frank und frei, was sie wollten, zu wagen: Freiheit erbitten wir drum für uns selbst und gewähren sie allen.

Mit diesen Worten zielte Michelangelo auf jene Ratgeber des Papstes, die den Künstlern neuerdings vorschreiben wollten, wie sie zu malen und zu dichten hätten. In Rom erzählte man sich, dass kürzlich Biagio da Cesena, der Zeremonienmeister des Papstes und ein sittenstrenger Mann, in die Sixtinische Kapelle gekommen war, um das zu drei Vierteln fertige Gemälde des Michelangelo zu sehen. Der Maler hasste es, bei der Arbeit gestört zu werden. So stieg er auch nicht vom Gerüst herunter, um Biagio zu begrüßen. Der über diese Unhöflichkeit erboste Zeremonienmeister bemerkte, dass es wider alle Schicklichkeit sei, in der Kapelle des Papstes solche schamlos nackten Gestalten zu zeigen, die eher in eine Badestube gehörten als an diesen heiligen Ort. Michelangelo entgegnete, wenn Biagio so genau wisse, wie das Jüngste Gericht darzustellen sei, solle er doch selber zum Pinsel greifen. Gekränkt ging der Zeremonienmeister. Michelangelo aber rächte sich, indem er Biagio als Höllenfürsten malte, inmitten einer Schar von Teufeln.

Biagio beschwerte sich beim Papst. Paul, der das Talent Michelangelos so schätzte, wie er dessen Reizbarkeit fürchtete, erwiderte listig, aus dem Fegefeuer hätte er ihn, Biagio, noch absolvieren können, aber über die Hölle vermöchte selbst ein Papst nicht zu gebieten.

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