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Wer verschenkt schon seinen Sieg? Ein Spiel von der Zukunft, in der wir schon leben von Hasso Grabner
Autor:
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Preis E-Book:
4.99 €
Veröffentl.:
30.03.2021
ISBN:
978-3-96521-310-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 50 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Politik, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Psychologisch, Belletristik/Moderne Frauen
Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Soziales
DDR, Sozialismus, Gewerkschaft, Wettbewerb, Brigade der sozialistischen Arbeit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Normerfüllung, Kulturleben, Kollektiv, gegenseitige Hilfe, Kameradschaftlichkeit
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DER HERR KONKRET: Genau gesehen lernten hier zwei Mann,
doch bei den anderen kam jeder dran.

BARTH: Das zweite Beispiel vom Lernen. – Komm, Mulle.

MULLE: Da können wir noch was anführen. Wir machen doch alle den Kursus Technisches Rechnen mit. Das hat ganz gut geklappt, bis auf Kirsche und Küken, die erst nicht recht ran wollten. Stimmts, Küken?

KÜKEN: Na ja, weil Kirsche …

KIRSCHE: Gar nicht, weil ich …

KÜKEN: Natürlich!

MULLE (lachend): Nun fangt nicht wieder an, erzählts lieber einmal.

KIRSCHE: Jetzt haben sie uns gegriffen – komm, Küken. Also ich hatte nicht für fünf Pfennige Lust zu dem Rechenkursus. Aber alleine nicht mitmachen, das sieht so dumm aus. Na, ich erst mal erkundigt, wann das ist. Immer dienstags. Da habe ich zwei Kinoanrechte für Dienstag aufgetrieben.

KÜKEN: So was Dummes, sagt er zu mir, ausgerechnet jetzt wollen meine Eltern ihr Kinoanrecht nicht mehr nutzen. Wo man so schwer eins kriegt, zwei schöne Plätze, die kann man doch nicht verfallen lassen. Gehste mit? Kostet nichts! Eigentlich wäre ich ja ganz gern in den Kursus gegangen. Aber ins Kino gehe ich ja auch schrecklich gern – und noch dazu für umsonst. Also sage ich zu und zeige Mulle
mit seinem Kursus die kalte Schulter.

KIRSCHE: Bis es dann passierte.

KÜKEN: Der Kursus wurde auf Mittwoch verlegt. Sputnik erzählt mir das, und ich melde mich an.

KIRSCHE: An dem Tage gehe ich mit Mulle nach Hause. Da bohrt er mich wieder an, von wegen Kursus. Der einzige wäre ich nun noch. Aha, dachte ich, du Pfiffikus, irgendwer knöpft sich wahrscheinlich jetzt
gerade Küken vor, von wegen sie wäre ie einzige. Dann kippen wir beide um und dann wars noch nicht mal geschwindelt. So dumm und aus der Stadt – bei mir nicht. Abends will ich Küken abholen. Sie wär schon fort, ins Kino, sagt ihre Mutter. Ha, Mulle, jetzt haben wir dich erwischt. Das wollte ich ihm noch unter die Nase reiben, er wohnt ja bei Küken im Hause. Er war nicht da. Ich stecke einen Zettel in den Kasten.

MULLE: „Lieber Mulle, ich heiße Kirsche und nicht Pflaume.“

KIRSCHE: Auf dem Nachhauseweg erzählt mir Küken vom Kursus am Mittwoch. Ich denke, mich trifft der Schlag.

KÜKEN: Und ich wundere mich, warum Kirsche so einsilbig wird.

KIRSCHE: Ich habe bloß immer an den Zettel gedacht – Pflaume heißen zu müssen, das
hätte mir aber gestunken. Vielleicht konnte man ihn noch irgendwie aus dem Briefkasten rausangeln. Aber jetzt wollte mich Küken unter keinen Umständen mit ins Haus lassen.

KÜKEN: Na ja, was sollen denn die Leute sagen, von wegen im Hausflur und so.

KIRSCHE: Endlich hatte ich sie rum.

KÜKEN: Und ruck, zuck ist er die Treppe hoch. Na, ich denke, wenn die Leute verrückt werden, fängts im Kopfe an. Ich hinterher. Steht er bei Mulle an der Tür und stochert mit dem Taschenmesser im Briefkasten. Bist du wahnsinnig, zische ich, wenn jetzt jemand kommt. Da guckt er mich an wie ein gestochenes Kalb, reißt einen Zettel aus dem Notizbuch, kritzelt was drauf und steckt ihn in den Kasten.

MULLE: „… und deswegen melde ich mich selbstverständlich zum Kursus an.“

(Lachen, Beifall.)

BARTH (flüsternd zu Erika): Wie stehts?

ERIKA: „Fortschritt“ 145.

BARTH (flüsternd): „Avanti“ 146.

ERIKA (flüsternd): Habe ich mir gedacht.

HEIDE (ruft dazwischen): He, was tuschelt ihr denn? Vorn ist die Musik.

BARTH: Ach so – ja – na also, „Avanti“, kommt rüber mit den Schmalzstullen.

ERWIN: Ihr machts uns nicht leicht, ihr „Fortschritt“-Leute. Wir haben das auch versucht, aber mit Friedel war eben nichts zu machen.

HEIDE (ruft dazwischen): Wieso?

FRIEDEL (etwas schwerfällig im schlesischen Dialekt):

Das will ich euch sagen, Freunde. Ich bin Umsiedler. Meine Eltern waren Landarbeiter, und vor der Schule kamen bei den Pans die Kartoffeln, die Rüben, das Heu und die Kühe. Und als wir dann 45 ins Pritzwalksche kamen, hatte ich vielleicht ein Jahr Schule hinter mir – mit zwölf Jahren. Da bin ich dann aus der Fünften rausgekommen, 1948. Im gleichen Jahr starben auch noch Vater und Mutter. Wohin nun? Wieder zum Bauern, Stall ausmisten. Aber da war der Bürgermeister, der hat mich dann in die Lehre reingedrückt, in einen kleinen Landmaschinen-VEB. Die Prüfung hätte ich nie bestanden. Doch der BGLer war ein alter VVN-Mann, und da bin ich durchgekommen. Und so bin ich Schlosser geworden, und mit den Händen gehts ganz gut, bloß mit dem Koppe, na ja – ihr wisst schon. Da hatte ich einfach Angst. Schlagt mich tot, habe ich gedacht – bloß nicht auf die Schule. So war das.

BARTH (sehr ernst): Und wie ist es jetzt, Friedel?

FRIEDEL (nachdenklich): Ich glaube, jetzt ist‘s schon ein bisschen anders. Aber daran ist Kurt schuld.

KURT: Ach – nicht der Rede wert.

MONI: Erzählen!

KURT: Ich sag doch.

MONI: Erzählen!

SPUTNIK: Erzählen!

PETRA: Erzählen!

KURT: Gott – ich hab mit meiner Mutter geredet, dass wir den Friedel zu uns nehmen, das ist alles.

MULLE: Und was hat deine Mutter gesagt?

MÖPSCHEN: Ach, das kann ich erzählen, weil sie’s meiner Mutter erzählt hat (alteriert fortfahrend:) Nein, Frau Förster, Ideen hat der Junge – da sollen wir unbedingt so einen Kollegen in Logis nehmen. Dass er in eine andere Atmosphäre käme – ha– ha –, Atmosphäre ist gut, aber die Strümpfe stopfen tu ich und die Hemden. Ich sage Ihnen, seien Sie froh, dass Sie keinen Jungen haben, Ideen haben die
heute.

KURT: Aber getan hat sie‘s doch. Mutter ist gut und Vater auch.

FRIEDEL: Und seitdem ist mir wohl. Kurt ist ein feiner Kerl, und seinem Vater kann ich stundenlang zuhören. Hundert Bücher und vielleicht noch mehr haben sie. Früher kannte ich sozusagen nur die Buchstaben, jetzt kann ich lesen, was dahintersteht. Vielleicht werde ich einmal sagen: Ich will auf die Schule – oder schlagt mich tot. So ist das. (Es ist einen Moment völlige Ruhe, während Friedel mit harten Schritten an seinen Platz zurückgeht.)

Wer verschenkt schon seinen Sieg? Ein Spiel von der Zukunft, in der wir schon leben von Hasso Grabner: TextAuszug