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Justizmord in Dedham von Hasso Grabner
Autor:
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Preis E-Book:
4.99 €
Veröffentl.:
30.03.2021
ISBN:
978-3-96521-304-3 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 54 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Politik, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Verbrechen
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik
USA, Justizmord, Raubmord, Gewerkschaft, Bartolomeo Vanzetti, Nicola Sacco, Elektrischer Stuhl, Proteste, Justizskandal, Meineid
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Als Fred Moore am 29. Oktober 1921 den Spruch der Geschworenen aufzuheben beantragte, hatte er das erste Mal das Interesse der ganzen Welt auf unserer Seite. Thayer ließ sich auf Moores große Rede gar nicht ein. Er sicherte zu, der Hohe Gerichtshof werde den Antrag „in Erwägung ziehen“.

Der fromme Herr, dem der Name Gottes allzu leicht über die Lippen floss, suchte sich einen passenden Tag für seine Ablehnung aus. Er verkündete sie am 24. Dezember.

Nun begann das jahrelange Tauziehen zwischen Verteidigung und Gericht, besser gesagt, das gewaltige Zerren an den Ketten, in die Amerikas Freiheit geschlagen ist.

Da hatte der Obmann der Geschworenen, Walter Ripley, ein Polizeichef außer Dienst, einem Freund, der an unserer Schuld zweifelte, geantwortet: „Verdammt noch mal, hängen müssen sie trotzdem.“ Das war schon vor dem Prozess. Ripley hatte noch keine Akte gesehen, keinen Zeugen gehört.

Die Verteidigung erfuhr davon und beantragte daraufhin ein neues Verfahren.

Thayers Antwort: Abgelehnt!

Louis Pelzer erschien bei der Verteidigung und gab zu Protokoll, der Bezirksstaatsanwalt habe ihm die Worte „wie ein Ei dem anderen“ in den Mund gelegt.

Die Verteidigung beantragte, Pelzers Zeugenaussage für nichtig zu erklären und deshalb den Prozess neu aufzunehmen.

Thayers Antwort: Abgelehnt!

Die Verteidigung machte den Händler Roy E. Gould als Zeugen des Verbrechens ausfindig. Er hatte im Moment des Überfalls näher bei den Banditen gestanden als jeder andere Zeuge. Er hatte auch der Polizei gegenüber ausgesagt, nur entsprachen diese Aussagen nicht deren Wunschvorstellung. Deshalb wurde er nie als Zeuge angefordert, und das Gericht sah zu, wie die Verteidigung diesen ihr unbekannten Mann acht Monate lang in sechs Staaten suchte. Wir wurden nun Roy E. Gould vorgestellt. Mit aller Entschiedenheit erklärte er uns mit keinem der schiebenden Banditen identisch.

Moore forderte einen neuen Prozess, um Goulds Aussage vor Gericht zu ermöglichen.

Thayers Antwort: Abgelehnt!

Die Verteidigung ermittelte den Lebenslauf des Erasmus C. Whitney. Sein Eid gegen uns war schon deshalb ein Meineid, weil er ihn unter dem falschen Namen Carlos E. Goodridge abgegeben hatte.

Thayers Antwort auf den entsprechenden Antrag: Abgelehnt!

Neun Monate nach dem Prozess bekannte sich Lola Andrews zum Meineid. Sie gab an, der Staatsanwalt Williams habe ihr gedroht, ihr Privatleben öffentlich zu brandmarken, wenn sie nicht gegen Sacco aussage. Die Frau war bekanntlich Katzmanns geradezu einmalig zweifelsfreier Zeuge. Der war ihm nun unter den Händen zerronnen. Grund genug für ein Wiederaufnahmeverfahren.

Thayers Antwort: Abgelehnt!

Zwei Jahre nach dem Prozess erfolgte die sensationelle Erklärung Hauptmann Proctors. Er entlarvte das Spiel selbst, das er mit dem Anklagevertreter abgekartet hatte und erklärte nun: „Wäre ich direkt gefragt worden, ob ich einen positiven Beweis dafür gefunden habe, dass die sogenannte tödliche Kugel durch den Revolver Saccos gegangen ist, hätte ich damals wie auch jetzt ohne Zögern im verneinenden Sinne geantwortet.“

Eine der wichtigsten Aussagen war zusammengefallen. Das musste doch wirklich ein Grund sein, den Prozess neu zu beginnen.

Thayers Antwort: Abgelehnt!

Die Verteidigung bemühte noch einen Waffensachverständigen, Albert H. Hamilton. Er war eine internationale Kapazität. Mit seinen Mikrofotografien, die noch ein 25 Tausendstel Millimeter erfassten, untersuchte er Waffe und Kugel. Eine 93 Seiten lange Arbeit bewies: Die Kugel hat nie diesen Lauf passiert. Eine völlige Übereinstimmung von drei Sachverständigen zu unseren Gunsten, der Zusammenbruch des Gutachtens vom Anklagesachverständigen. Reicht das zur Wiederaufnahme?

Thayers Antwort: Abgelehnt!

Wie hat das alles an unserem Herzen gezehrt. So oft kam Fred Moore und brachte uns eine neue wichtige Entdeckung, von der eine Wende hätte erwartet werden können. Was kam, waren aber nur eine neue zermürbende Wartezeit und die stereotype, hasstriefende Antwort Thayers: Abgelehnt!

Mir ging es viel besser als Nick. Ich war doch Zuchthäusler und durfte – musste – arbeiten. Aber Nick, der tätige, fleißige Mensch, war zur Untätigkeit verdammt. „Hier in diesem fürchterlichen Loch sitze ich lebendig begraben", schrieb er hinaus, „hier, wo es kein Leben und keine Vegetation gibt – wo nur ich lebe! Und ich will leben für die Menschheit und für die Solidarität und für die Brüderlichkeit und aus Dankbarkeit für alle Freunde und Genossen, die sich für Sacco und Vanzetti eingesetzt haben. Ich will leben, um die Freiheit und Gerechtigkeit für uns alle zu erkämpfen.“

Nick suchte ein Mittel, um in diesen Kampf auch unter den gegebenen Umständen eingreifen zu können. Er fand es: den Hungerstreik. Es begannen schwere Tage für ihn, den Kämpfenden, für uns, die wir um ihn bangten. Ich litt mit ihm und war zugleich stolz auf ihn, der so opfervoll bewies, wie tapfer ein italienischer Arbeiter sein kann. Dreißig Tage bis zum fast völligen Erlöschen seines Lebenslichts. Seine Frau, seine Freunde baten ihn, abzubrechen. Auch ich schrieb ihm schweren Herzens in diesem Sinne. Er hielt durch, vom 15. Februar bis zum 17. März 1923, und zwang an diesem Tage Webster Thayer, neue Anträge der Verteidigung entgegenzunehmen.

Einen Tag später wäre er wohl verhungert.

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