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Die Nacht davor von Günter Görlich
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
08.06.2022
ISBN:
978-3-96521-703-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 179 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Kurzgeschichten, Belletristik/Politik, Belletristik/Krieg & Militär
Moderne und zeitgenössische Belletristik, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Umwelt, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
DDR, Wende, Rückübertragung, NVA, Nostalgie, Ossi, Wessi, Anna Seghers, Freundschaft, Naturschutz, Wahlfälschung
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Am dritten Tag des neuen Jahres wurde Klaus Tauber verhaftet.

In der ersten Zeit danach weinte Mutter oft, doch bald hatte sie keine Tränen mehr. Aus dem Briefkasten holte sie Karten und Zettel, las sie und zerriss die meisten in kleine Schnipsel.

„Warum machst du das, Mama?“, fragte Tanja. „Ist nicht wichtig“, sagte die Mutter, „Papa muss Post, auf der kein Absender angegeben ist, nicht lesen.“

 

Wenige Tage später wartete Tanja wie an jedem Morgen vor der Kaufhalle auf ihre Freundin Peggy. Sie musste lange warten.

Als sie Peggy kommen sah, war sie froh, wunderte sich aber, dass sie so langsam ging.

„Hallo, Peggy“, sagte Tanja, „wir müssen uns beeilen.“

Peggy sah Tanja abweisend an.

„Du brauchst nicht mehr auf mich zu warten“, sagte sie, „ich bin nicht mehr deine Freundin.“

„Du bist nicht mehr meine Freundin?“

„Dein Vater sitzt im Gefängnis. Er ist ein Betrüger“, sagte Peggy.

„Ja, er ist im Gefängnis“, sagte Tanja leise.

 

„Du musst dich schämen, sagt mein Vater. Du musst allen sagen, dass du dich für deinen Vater schämst.“

„Er ist kein Betrüger. Wer sagt so was?“

„Das steht in der Zeitung. Mein Papa hat mir die Stelle gezeigt. Dein Vater ist ins Gefängnis gekommen, weil er betrogen hat. Wir haben damals vor dem Wahllokal gesungen. Bei den Wahlen hat er betrogen.“

„Ich glaube das nicht“, flüsterte Tanja.

„Mein Papa sagt, solche wie dein Vater sind an allem schuld. Er will mit denen nichts mehr zu tun haben.“

„Und du willst mit mir nichts mehr zu tun haben.“

„Ich soll vor dir ausspucken, wenn du für deinen Vater eintrittst, hat mein Papa gesagt.“

„Dann spuck vor mir aus“, sagte Tanja.

Die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie sah, wie Peggy davonging, sich immer weiter von ihr entfernte.

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