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Die verfluchte Judenstraße von Günter Görlich
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
10.06.2022
ISBN:
978-3-96521-705-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 116 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Liebesroman/Militär, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Jüdisch
Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Historischer Roman
Festung, Breslau, 2. Weltkrieg, Halbjude, Liebe, Hoffnung, Tod
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Hans Sawade kam aus tiefem Schlaf, musste sich erst zurechtfinden beim Erwachen. Das Kellergewölbe wurde durch eine Lampe am Eingang spärlich erleuchtet. Von dort fiel auch schwaches Licht herein. Draußen war also heller Tag.

Hans Sawade gingen die wirren Bilder des vergangenen Tages durch den Kopf.

Nach Rückkehr von der Bewachung der Leute aus der Judenstraße hatte Mudra noch Waffenreinigen angesetzt. Vor Müdigkeit fielen die Jungen fast um, aber die Waffen mussten gewartet werden.

Wie ein Film lief bei Hans Sawade der gestrige Tag ab, der drohende Ton Persickes am Morgen, als er den Sondereinsatz erläuterte, die menschenleere Judenstraße, die Aktion in den Häusern, und er und Sommerlatte bei der alten Frau und dem Mädchen, das Eva hieß. Und er hatte das Mädchen ganz deutlich vor Augen, sein glattes, blondes Haar, den schmächtigen Körper in dem weiten Männerpullover und die Füße in den schweren Schnürschuhen. Und er sah, wie das Mädchen im Strom der anderen auf das Tor zum Schulhof zutrieb. Er hatte ihr nachgeschaut, bis er das blonde Haar nicht mehr erkennen konnte.

Was war in der Nacht, in der er vor Müdigkeit und Erschöpfung traumlos auf dem Strohsack schlief, auf dem Schulhof geschehen? Oder hatte die SS die Festgenommenen weitergetrieben? Zu den Oderwiesen? In die Kiesgruben?

Warum aber dachte er an das Mädchen, zu dem er nur einen halben Satz gesprochen hatte? Nach Persicke gehört es zu den Elementen, die der kämpfenden Festung schaden wollen. Und die sind auszuschalten in diesem Schicksalskampf für Deutschland.

Das Mädchen und die alte Frau, die kleinen Kinder und die alten Männer müssen ausgeschaltet werden?

Vielleicht gehört der junge Mann, den sie mit Kolbenstoßen aus dem Haus getrieben haben, zu den Feinden. Die anderen aber?

Der Platz neben Hans Sawade war leer. Sommerlatte war schon vom Strohsack hoch, trieb sich draußen herum, schaffte was ran.

Im Kellergewölbe stand stickige, abgestandene Luft, es stank nach feuchtem Stroh und Urin. Und es war kühl.

Doch daran kann sich der Soldat gewöhnen, hier unten war man sicher wie in Abrahams Schoß. Das behauptete Mudra, wenn wieder ein Bombenangriff über die Stadt hinweggegangen war, das sagte er nach dem stundenlangen, pausenlosen Artilleriefeuer, das auf die Stadt einschlug von Mitte Februar bis tief in den März hinein. Die Brauereigebäude über den Gewölben wurden sehr mitgenommen, doch die Keller darunter hatten standgehalten.

Hans Sawade streifte sein Drillichzeug ab, in dem er geschlafen hatte, und klopfte seinen grauen Uniformrock aus. Eigentlich wollte er heute seine Unterwäsche mit Kernseife bearbeiten, doch schon, als er daran dachte, hatte er keine Lust mehr.

Er stieg aus dem Gewölbe zum Brauereihof hinauf. Das helle Sonnenlicht blendete ihn, der Himmel war wolkenlos.

Am rohgezimmerten Holztisch saß barhäuptig und im geöffneten Uniformrock Oberfeldwebel Mudra.

Hans Sawade holte sich einen Kanten Kommissbrot, Marmelade, harte Wurst und im Kochgeschirr Malzkaffee.

Er schlug die Hacken zusammen und fragte: „Darf ich Platz nehmen, Herr Oberfeldwebel?“

Mudra, der in einer alten Illustrierten las, schaute verwundert hoch.

„Sawade, du Idiot. Was fragst du so förmlich? Soll ich jetzt sagen, schließ den Knopf an der Brusttasche? Soll ich dich über den Hof scheuchen? Wer soll sonst hier sitzen, Sawade? Du natürlich. Und du hast es verdient. Ihr alle habt's verdient, ihr Bürschlein. Was haben die euch aufgeladen. Na los, hau das Zeug runter. Wir haben nichts Besseres.“

Immer vorsichtig mit Mudra, dachte Hans Sawade. Hätte ich mich einfach hingesetzt, wer weiß, was passiert wäre. Aber die Freundlichkeit Mudras hatte einen Grund. Das war der Inhalt des Kochgeschirrs, aus dem er hin und wieder einen Schluck Wein nahm.

Mudra lachte laut, schlug sich auf die Schenkel, tippte mit dem Zeigefinger auf die Zeitschrift.

„Menschenskind, ein paar Monate erst alt das Blättchen, und was hat sich alles verändert. Hier steht was geschrieben zur Ardennenoffensive zum Jahresende. Das letzte Mal ging's vorwärts. Auch meine Truppe war dabei. Muss ein schönes Gefühl gewesen sein. Ich lag im Lazarett und war darüber heilfroh. Ahnte den Schlamassel, hab' ihn gerochen. Und so kam's ja auch. Dachte, hast Schwein gehabt, alter Halunke. Vielleicht geht der Kelch an dir vorüber im größten aller Kriege.

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