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Heimkehr in ein fremdes Land von Günter Görlich
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Preis E-Book:
9.99 €
Veröffentl.:
28.06.2022
ISBN:
978-3-96521-721-8 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 805 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krimis & Detektivgeschichten/Polizeiprozesse, Belletristik/Liebesroman/Aktuelle Zeitgeschichte, Belletristik/Thriller/Verbrechen
Kriminalromane und Mystery: Polizeiarbeit, Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Familienleben
DDR, Liebe, Familienleben, 2. Weltkrieg, Kriegsgefangenenlager, Russland, Ostberlin, Westberlin, Polizei, Sabotage, Mord, Enteignung
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Aus traumlosem Schlaf aufschrecken, sofort hellwach sein, das kann Martin, das hat er sich in Jahren angewöhnt. Graues Licht im Zimmer, Kleidungsstücke liegen verstreut auf den Stühlen, auf dem Tisch.

Warum aber so plötzlich hellwach?

Starkes Klopfen an der Tür. Margot liegt auf der Seite, schläft fest, drückt ihr Gesicht ins Kissen. Erneut das starke Klopfen.

„Ja. Was denn?“, ruft Martin.

„Mach auf.“

Hinter der Tür dumpf die Stimme von Werner Morenz.

„Ist doch auf.“

Morenz tritt ins Zimmer. Die zerdrückte, nasse Mütze tief in die Stirn gezogen, der Mantel fleckig von Straßenschmutz, erdfarbene Spritzer an den Stiefeln.

Martin setzt sich auf und starrt Morenz an. Auch Margot ist nun wach, ist genauso hellwach wie Martin.

Draußen Schritte, Stimmen, gedämpfte Kommandos, Anweisungen.

Morenz schließt behutsam die Tür, nimmt die Mütze ab und setzt sich auf einen Stuhl. Grau und müde ist sein Gesicht. Er blickt Martin an, dann Margot, als müsse er sich besinnen, warum er hier ist. Er dreht die Mütze in den Händen, poliert mit dem Ärmel das Mützenschild, was nicht viel nutzt, es ist beschlagen, blind, schon brüchig.

Er sagt: „Hüttenrauch ist tot. Sie haben ihn erstochen. Umgebracht.“

Eine Mitteilung. Wie lange braucht man, um zu begreifen: Das ist kein quälender Traum. Margot versteht eher, sie schlägt die Hände vors Gesicht.

Da muss auch Martin einsehen, dass an dieser Mitteilung alles wirklich ist, so wirklich wie der Freund dort am Tisch, der jetzt aufsteht und sagt: „Zieht euch an und kommt rüber.“

Und er lässt die beiden allein.

Wenig später gehen sie ins Zimmer nebenan. Margot klammert sich an Martins Arm. Martin hat für einen Augenblick die unsinnige Vorstellung, dass Arthur im Zimmer liegen könnte, am Fußboden oder auf dem Bett. Erstochen.

Am Tisch sitzt Fries, aufrecht, leere Augen im starren Gesicht. Fischer lehnt am Ofen, und zwei Leute in Zivil blättern in Büchern, haben Schubladen geöffnet. Werner Morenz hat Kartons vom Schrank geholt und stellt sie behutsam, als enthielten sie sehr Kostbares, auf den Tisch.

Fischer zeigt auf das Sofa, dorthin sollen sie sich setzen. Er erklärt ihnen den Tatbestand, er dämpft seine Stimme, um seine Erregung zu zügeln, um sich vom Zorn nicht überwältigen zu lassen. Heute Morgen hat eine Streife Arthur Hüttenrauch gefunden, am Kanal, an der gesperrten Brücke, im Weidengebüsch.

Der Hund des Streifenpostens hatte Witterung aufgenommen, sonst hätte man den Toten noch nicht entdeckt. Er hockte in einer Vertiefung, kauerte dort, als wäre er eingeschlafen und nach vorn gefallen. Spuren eines Kampfes waren nicht feststellbar, Spuren überhaupt hat man bisher noch nicht sichern können. Es sieht aus, als habe man Hüttenrauch von hinten erstochen, als sei er überrascht worden. Der tödliche Stich ist mit einem Dolch ausgeführt worden.

Soweit der Tatbestand. Dann Fragen an Margot und Martin.

Waren Anzeichen zu bemerken, dass Hüttenrauch irgendwelchen Leuten nachstellte? Gab es hier in der Wohnung Besuch, der ihnen nicht bekannt war, der ihnen in irgendeiner Form auffällig in Erinnerung geblieben ist? Hat Hüttenrauch irgendetwas geäußert, das auf Bedrohung oder ähnliches schließen lässt. Sachliche, nüchterne Fragen. Gefühle stehen jetzt nicht im Vordergrund.

Dieser Ton bringt die beiden zur Besinnung.

Nichts sei aufgefallen, sagt Martin, nur Arthur sei viel spazieren gegangen; solange er hier wohne, habe Arthur weite Streifzüge unternommen. Das sei für seine Gesundheit notwendig gewesen, und dann habe er doch über alles Bescheid wissen wollen, was in seinem Ort geschah.

Fries wirft ein: „Bis nach zwölf haben wir hier gesessen. Ein schönes Silvester. Arthur hatte Punsch gebraut. Ich war dann müde. Er wollte noch eine kleine Biege machen, wie er sagte. Ich habe ja in den paar Tagen gestaunt, wie oft Arthur unterwegs war. Ich bin dann eingeschlafen. Seine Stimme war ruhig, als er sich von mir verabschiedete. Ich versteh mich auf Stimmen. Da war keine Unruhe zu spüren, gar nichts. Was haben wir gelacht an diesem Abend. Im Radio erzählten sie hübsche Witze. Hüttenrauch hat genauso oft gelacht wie ich, noch lauter als ich. Er war aufgekratzt, lustig. Da ist keine Verstellung möglich, das weiß ich. Vor mir kann niemand seine Stimme verstellen.“

„Aber Sie hatten Punsch getrunken und waren müde“, sagt Fischer, „Sie haben gelacht, und es war, wie Sie sagten, ein schöner Silvesterabend. Ist es nicht möglich, dass Ihre Aufmerksamkeit ein wenig nachgelassen hat? War wirklich nicht mehr, als Hüttenrauch sagte, er wolle eine Biege machen?“

Der Blinde denkt nach, er richtet das Gesicht nicht zum Sprechenden, er braucht das nicht.

„Nein, nein, da war nicht mehr. Ich spüre so etwas bestimmt.“

Und sagt auf einmal laut: „Wer hat ihn bloß umgebracht?“

Wer soll die Frage beantworten? Bis jetzt weiß niemand etwas über den Mörder. Oder die Mörder. Schweigen also. Nur das Rascheln der Papiere, das unterdrückte Schluchzen Margots.

Martin fällt ein, dass Arthur vor wenigen Wochen Papiere verbrannt hat, und das sagt er Fischer.

„Was waren das für Papiere?“

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