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Der unbekannte Großvater von Günter Görlich
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
07.06.2022
ISBN:
978-3-96521-695-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 304 Seiten
Kategorien:
Kinder-und Jugendbuch/Jungen und Männer, Kinder-und Jugendbuch/Geschäft, Karriere, Berufe, Kinder-und Jugendbuch/Familie/Ehe und Scheidung, Kinder-und Jugendbuch/Familie/Generationsübergreifend, Kinder-und Jugendbuch/Familie/Eltern
Kinder/Jugendliche: Familienromane, Kinder/Jugendliche: Persönliche und soziale Themen: Familie, Kinder/Jugendliche: Gegenwartsliteratur, Kinder/Jugendliche: Liebesromane, Freundschaftsromane
Liebe, Scheidung, Oma, Opa, Familienleben, Berlin
10 - 14 Jahre
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Kaum war Sven verschwunden, kam Bewegung in Markus, keine Sekunde wollte er mehr verlieren. Der Vorplatz lag verlassen in der Mittagssonne, es läutete zur nächsten Stunde. Fünf Stufen auf einmal nehmend, fegte Markus die Treppen hinunter, erreichte gerade noch die Eingangstür, bevor sie abgeschlossen wurde, und trat hinaus in die helle Sonne.

Jetzt lief er langsam, war weithin zu sehen und natürlich auch von Opa Paul. Der kam dem Jungen entgegen. In der Mitte des Platzes trafen sie sich, der Junge und der Alte.

Opa Paul lächelte. „Da bist du ja, Markus.“

„Hallo“, sagte der Junge. Und sie gaben sich die Hand.

„Dachte schon, bei dir hat sich was geändert“, sagte Opa Paul.

„Wartest du schon lange?“

„Nicht sehr lange. Aber ich habe Zeit“, sagte der Mann.

Markus fiel der Satz von Vater ein, der gestern Abend bissig bemerkt hatte, Paul Stojahn habe viel Zeit und komme deshalb auf dumme Gedanken.

„Was hast du denn die ganze Zeit gemacht?“, fragte der Junge.

„Welche Zeit?“, fragte Opa Paul verblüfft.

„Na, von gestern bis heute.“

„Von gestern bis heute? Am Nachmittag bin ich zum Weißen See gefahren und habe gebadet. Kennst du doch?“

„Klar. Gut kenne ich den“, sagte der Junge.

„Und am Abend? Am Abend habe ich mich in eine Kneipe gesetzt und hab eine Bockwurst gegessen mit Kartoffelsalat und ein paar Bier getrunken.“

„Ganz allein warst du in der Kneipe? Ist das nicht langweilig?“

„Überhaupt nicht. In der Kneipe sitzen immer Leute. Du kommst gleich ins Reden, und schon wird’s gemütlich.“

„Papa geht nicht in die Gaststätte. Nur hin und wieder mit Mama. Wenn sie mal im Theater waren oder im Konzert“, erklärte Markus.

„Ja, das ist was anderes. Im Theater muss man einen feinen Anzug anhaben und so“, meinte Opa Paul.

„Hast du einen feinen Anzug?“

„Ja. Und weil ich ihn nicht so oft anziehen muss, bleibt er lange gut. Der reicht für mein Leben“, sagte Opa Paul.

„Und was hast du heute gemacht?“, fragte der Junge.

„Heute? Nun ja, gefrühstückt. Um halb sechs.“

„So früh?“

„Ich steh immer früh auf. Wenn ich wach werde, stehe ich auf. Was soll ich im Bett.“

„Mir geht’s anders“, sagte Markus. „Ich komme ganz schwer aus der Falle. Mama zieht mir die Bettdecke weg.“

„Bei mir ist niemand, der mir die Bettdecke wegziehen könnte, also muss ich mich ohne Aufforderung von der Matratze erheben“, sagte Opa Paul und fuhr fort: „Nach dem Frühstück hab ich einiges geschrieben.“

„Einen Brief?“, fragte Markus.

„Nein, Briefe schreibe ich selten. Ich schreibe auf, was sich auf meiner letzten Baustelle in Sibirien getan hat, wie unsere Bagger funktioniert haben oder nicht. Und warum das so war, und was im Werk noch zu tun ist, damit sie besser arbeiten“, erklärte Opa Paul.

„Du schreibst also einen Bericht“, sagte Markus.

„Richtig, ich schreibe einen Bericht.“

„Papa schreibt manchmal auch einen Bericht.“

„Ja, das macht man überall.“

„Schreibst du in deiner alten Schrift?“

„Ach“, sagte Opa Paul, „hab ich den Zettel gestern in meiner gewohnten Schrift geschrieben?“

„Ja“, sagte der Junge, „nur Oma konnte ihn lesen.“

„Dann ist ja alles in Ordnung“, sagte Opa Paul etwas heiser, „aber meinen Bericht schreibe ich auf der Schreibmaschine, tippe mit zwei Fingern.“

Markus und der Großvater standen allein auf dem leeren Platz, die Junisonne brannte fast senkrecht vom Himmel.

„Gehn wir zu unserer Bank“, schlug Opa Paul vor, „dort ist Schatten.“

Nicht weit von der Bank parkte das bunte Auto. Ein Seitenfenster war heruntergekurbelt.

„Du hast dein Auto wieder nicht abgeschlossen“, sagte Markus.

„Das lern ich nicht und lern ich nicht“, sagte Opa Paul.

Sie saßen nebeneinander auf der Holzbank, die, wie auf der Lehne zu lesen war, dem Gartenamt gehörte.

„Und was hat man zu meiner Nachricht gesagt?“, fragte Opa Paul, und es war seiner Stimme anzumerken, dass er sehr gespannt war auf die Antwort.

Markus sah Opa Paul von der Seite an, blickte in die hellen Augen. „Alles hab ich nicht behalten“, sagte er.

„Haben sie auf mich geschimpft?“

„Ja, das auch.“

„Oma Renate?“

„Oma hat geweint“, sagte Markus.

Opa Paul fragte bestürzt: „Sie hat geweint?“

„Ja, aber nicht lange.“

„Habe selten erlebt, dass sie weinte“, sagte Opa Paul.

„Du sollst morgen Abend zu uns kommen, soll ich dir sagen.“

Der Mann beugte sich zu dem Jungen. „Wirklich? Morgen Abend? Zu euch, in die Wohnung von Mama, Papa und dir?“

„Ja, zu uns.“

Der Junge wunderte sich über die Aufregung des Großvaters.

„Freust du dich nicht?“

„Aber wie“, sagte Opa Paul rasch, „ich kann’s noch gar nicht glauben.“

„Ist aber so. Mama hat das vorgeschlagen. Und wenn sie sich was in den Kopf setzt, wird das auch gemacht.“

„Und Papa und Oma Renate sind einverstanden?“

Markus zögerte mit der Antwort. Papa ist einverstanden, das hatte er am Abendbrottisch gesagt und dann noch einmal auf dem Balkon.

Aber Oma? Ob Papa schon bei ihr gewesen ist? Ohne ein Wort des Abschieds war sie aus der Wohnung gegangen. Noch nie war das passiert, jedenfalls hatte es Markus nicht erlebt.

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