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Westindienfahrer. Eine Seeräuberballade von Ulrich Frohriep
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
14.03.2023
ISBN:
978-3-96521-874-1 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 261 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Action und Abenteuer, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Liebesroman/Erwachsenwerden, Belletristik/Geschichten vom Meer, Belletristik/Hispanisch und Lateinamerikanisch
Historische Abenteuerromane, Meeresgeschichten, Historischer Roman
Piraten, Seeräuber, Spanien, Silberflotte, Westindien, Karibik, Holländer, Haiti, Intrige, Raub, Mord, Kaperfahrt
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Wenn man von der Werft der Brüder Lafitte absah und einigen geräumigen Lagerhallen, die übrigens sorgfältig bewacht wurden, war das Dorf gar nicht so groß. Vielleicht säumten zwei Dutzend Häuser die Straße, aber es waren keine Wohnhäuser eingesessener Bürger. Es gab keine eingesessenen Bürger, wenn man die Händler nicht zählte und die Werftbesitzer. Die Mädchen und die Wirte wohnten und arbeiteten in ihren Wirtschaften. Die Kunden wohnten an Bord ihrer Schiffe und nächtigten höchstens einmal in einem Zimmer an Land. Was allerdings die Ausnahme war. Denn war man vom Palmwein, vom Feigenschnaps, vom Rum berauscht, bedurfte es meist keiner ordentlichen Bettstatt mehr, am Strand lag es sich weich, bis man seinen Rausch ausgeschlafen hatte. Um dann erneut zu den gebrannten Wassern und Säften, zu Schweinebauch und gebratenen Tauben, zu den betörenden Reizen der Mädchen Tortugas zurückzukehren. Was kümmerten den Mann Geld und Gut. Wie gewonnen, so zerronnen. Wozu hatte man sein Schiff, sein scharfes Messer, wenn nicht von See zu holen, dessen man bedurfte. Was war man auch für ein Kerl.

Seit dem frühen Morgen hatten die beiden Jungen nicht mehr ans Essen gedacht. Doch ein Duft strömte die Straße entlang, da wurden sie sich ihres Hungers bewusst und kehrten ein in das erste, das beste und größte Haus am Platze. In Dominas Haus. Es ging hoch her. Auf den Tischen türmten sich die Speisen: Hühnchen und gebackene Tauben, Schweinekeulen und Rindslenden, Suppen, Früchte, Wein. Joseph musste schlucken. Es wurde geschmatzt und gerülpst und auch mal einer fahren gelassen. Mit einem Wort, es schmeckte, es war zu hören. Dicker Tabaksqualm stand über den Tischen. Im Hintergrund klang zart der Ton einer spanischen Gitarre, ging unter im groben Gelächter angetrunkener Männer.

Martin und Joseph setzten sich eingeschüchtert an das Ende eines Tisches, wagten kaum zu bestellen, erhielten aber doch ihre Portionen und machten sich mit Appetit darüber her: Schildkrötensuppe als Vorspeise, Bataten mit Feigenkäse und Butter, fette Baumtauben mit Ananas, Schweinebraten in Pfeffersoße mit Zitrone, Palmkohl, als Nachtisch Pflaumen, Melonen, Weintrauben. Dazu ein schmackhaftes Bier, dunkel und süß. Es schmeckte ihnen, wie ihnen lange keine Mahlzeit geschmeckt hatte. Ja, Martin konnte sich nicht entsinnen, überhaupt jemals so köstliche Speisen vorgesetzt bekommen zu haben. Joseph verdrehte die Augen. Nun war er schon drei Jahre auf dieser Insel, aber außer Abfallbrocken hatte er nie etwas erhalten.

An den Tischen wurden Reden gehalten. Die Gitarre war verstummt. Neben Martin und Joseph saßen plötzlich Mädchen. Im Dämmerlicht der Schankstube mochten sie für schön gelten. Doch Martin sah genauer hin, sah die aufgedunsene blonde Haut, sah den Puder, die Schminke. Martin bestellte eine Flasche Wein und wandte sich ab. Er hörte zu. Jetzt hatte ein Kerl wie ein Fass das Sagen, schlug sich mit der Faust auf den mächtigen Brustkorb.

„Ich“, dröhnte er, „ich habe die Kugel gewiegt in meinen Armen, habe sorgfältig geladen. Und was soll ich euch sagen, Leute, auseinandergeflogen ist der Spanier wie eine überreife Melone, wenn du sie gegen die Wand klatschst. Geradewegs zur Hölle gefahren ist er in tausend Stücken. Möge jedes einzelne dort schmoren bis in alle Ewigkeit.“

„Du hättest dir man noch vorher die Schiffskasse holen sollen, du Tropf. Das schöne Geld.“

„Ach, pfeif drauf. Wir haben Geld genug. Hier!“ Er zog einen prallen Beutel aus dem Gürtel. „Ich lade euch ein. Wein für alle!“ Schmiss ihn zwischen die Schüsseln und Flaschen, dass es klirrte. „Ein ganzes Fass, vom teuersten!“

Unter dem Jubel der Seeleute rollte das Fass herein. Der Hausdiener beeilte sich, zu oft hatte er schon Püffe und Tritte bezogen.

„Halt“, brüllte der Dicke, „ich mach das, du Schuft.“

Augenblicklich ließ der Diener das Fass fahren. Der Dicke nahm es, stemmte es hoch. „Es ist voll, Leute. Sauft, ihr Lieben, sauft.“ Und ganz behutsam setzte er das Gefäß ab, drückte sanft den Zapfhahn hinein, nahm seinen Becher, und goldgelb floss der Wein. Er roch daran, nahm einen kleinen Schluck, drehte und wälzte ihn auf der Zunge hin und her, schluckte und flüsterte: „Ja, das nenn ich einen Tropfen. Sauft“, brüllte er, „sauft, meine Brüder. Es hat nie einen besseren Wein gegeben, das könnt ihr mir getrost glauben.“

Die Männer gossen, was in ihren Bechern war, unter den Tisch, drängelten zum neuen Fass und tranken auf das Wohl des Spenders. Natürlich standen ihnen die Mädchen in keiner Weise nach, wenn sie vielleicht auch nicht alles austranken, was sie einschenkten, man musste schließlich an das Geschäft denken. Der Wein war verkauft, und wenn das Fass leer war, wurde ein neues bestellt. Das war der Lauf der Dinge. Und außerdem musste man ja wenigstens etwas bei Bewusstsein bleiben, wenn die Männer begannen, begehrliche Blicke um sich zu werfen, sich das oder jenes Mädchen schönguckten. Man musste ja noch arbeiten. Man hatte einen Ruf zu verlieren. Na, prost.

Martin und Joseph hatten sich nicht gerührt. Sie gehörten nicht dazu. Sie wagten nicht einmal hinzuschauen. Da aber die beiden Frauen, die sich zu ihnen gesetzt hatten, sich nun rechts und links an den Dicken schmiegten, saßen sie mit einemmal allein da.

„Was ist denn mit euch, Kinderchen? Kommt, kommt, hier gibt der dicke Ben einen aus. Vielleicht zum letzte Mal, wer weiß das schon. Wer weiß, vielleicht bin ich es, der morgen über Bord geht mit den Füßen voran. Mit einer Kugel im Bauch oder den Kopf unterm Arm. Was?“ Die Männer ließen Ben hochleben.

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