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Heimat, deine Sterne. Leben und Sterben des Erich Knauf von Wolfgang Eckert
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Preis E-Book:
7.99 €
Veröffentl.:
08.11.2022
ISBN:
978-3-96521-786-7 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 210 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Biografisch, Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Politik
Historischer Roman, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Politik, Kriegsromane: Zweiter Weltkrieg, Biografischer Roman, Deutschland, Erste Hälfte 20. Jahrhundert (1900 bis 1950 n. Chr.)
Erich Knauf, Faschismus, Nationalsozialismus, Traven, Erich Kästner, Todesurteil, Hinrichtung, Schlager
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Am 22. Mai 1934 stand eine Theaterkritik von ihm über eine „Carmen“-Aufführung der Deutschen Staatsoper im „8-Uhr-Abendblatt“. Sie hieß „Carmen, etwas blutarm“. Man spürt darin seinen scharfen Biss aus der Plauener Zeit:

„In dieser Oper ist Blutgeruch, Eros stelzt nicht im Frack über die Bühne, und der Sexappeal hat an sich etwas von Gosse, verschwitzter Wäsche und dunklem Wein, der in alten Schenken „draußen am Wall von Sevilla“ stundenweise abgegeben wird. Und Carmen – das ist ein „Mensch“, ein Luder, ein Stück Vorstadt. Schon in ihrer Stimme ist das Triebhafte, Dunkle, Starke. Alle diese drei Dinge ließ Dusolina Giannini vermissen. Sie sang sozusagen mit halber Lunge, nicht ein einziges Mal brach ihr Organ zu größerer Anstrengung auf. (…) Alte Schablone provinzieller Art, kein großer Zug, kein Blut in den Adern! (…) Staatsoper? Volksoper! Leben, Leben, Leben, Smoking runter, Manschetten umgekrempelt, hau-ruck!“

Das Volk wird entweder gar nicht oder, sofern es sich für Theater interessierte, schmunzelnd auf diese Kritik reagiert haben. Ob es überhaupt eine Eintrittskarte erschwingen konnte, ist noch eine andere Frage. Aber sicher saß in der Ehrenloge einer mit Freikarte: Hermann Göring, der Schirmherr der Staatsoper. Das hatte Knauf nicht bedacht, wie schon damals, als er zum Beethovenjahr 1927 in der Plauener Volkszeitung Kästners „Nachtgesang des Kammervirtuosen“ veröffentlicht hatte. Er trug die volle Verantwortung für diesen „Carmen“-Artikel, weil er inzwischen verantwortlicher Redakteur des „8-Uhr-Abendblattes“ geworden war. Walther Victor entging nur knapp der Verhaftung als im Widerstand gekämpft habender und entdeckter Staatsfeind durch seine schnelle Flucht in die Schweiz. Knauf trat in seiner zunehmenden Existenznot an den hauptberuflichen, nun freien Platz seines Freundes.

Ob Göring sich schon seine breite Brust bis hinab zum massiger werdenden Bauch farbig schillernd wie ein Pfau mit Orden und Bändern behangen hatte? Vielleicht saß er nach der „Carmen“-Premiere mit Dusolina Giannini beim festlichen Essen und schlug dabei balzend Rad? Tage später musste er dann in der Zeitung lesen, dass ihr Organ nicht ein einziges Mal zu größerer Anstrengung aufgebrochen war. Und nicht genug! Der Kerl schrieb auch noch, aus der Staatsoper müsse eine Volksoper werden. Göring war kein Redakteur der „Leipziger Neuen Nachrichten“ oder der „Neuen Leipziger Zeitung“, der seine Mitarbeiter nur fristlos entlassen konnte. Er war seit 1922 Führer der SA sowie Begründer der Gestapo und der neuen Verwahrungsstätten, der Konzentrationslager. Ihm muss Knauf mit seinem am Ende der Theaterrezension stehenden „Smoking runter, Manschetten umgekrempelt, hau-ruck!“ wie Karl Moor vorgekommen sein, und die Eitelkeit des getroffenen Tyrannen ließ ihm die Zornesadern anschwellen, als er seine Verfügungen gegen Knauf brüllte. Die zuständigen Staatspolizeiämter rotierten. Geheim natürlich, damit sie ihrer Abkürzung – Gestapo – alle Ehre machten. Die für solche Fälle Verantwortlichen diktierten Weisungen und ließen sie von anderen wieder, immer mit der amtlichen Beibemerkung i.A., unterschreiben.

Der 2. Juni 1934 war ein Sonnabend. Was Knauf gerade zu dieser Zeit unternahm, ist nicht bekannt. Vielleicht wollte er am Lietzensee spazierengehen, den er mit einem heiter-besinnlichen Gedicht bedachte, oder er wollte sich zu Erna Donath aufmachen, um mit ihr in eines jener außerhalb von Berlin liegenden Gartenlokale zu fahren, richtig gut essen, eine kühle Weiße trinken. Glaubhafter bei ihm ist, er hatte einen Termin für die nächste Nachtausgabe und saß über ein Blatt Papier gebeugt. Was er vorhatte, er konnte es nicht zu Ende führen, denn an diesem Sonnabend organisierten andere für ihn eine Fahrt zur Stadtgrenze, nicht in ein Gartenlokal, sondern ins Konzentrationslager Oranienburg.

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