Home
eBook-Shop (nur Verlagstitel)
Links
Warenkorb
Nicht nur Frau Kalunke war es, die uns Fleisch brachte, und nicht nur Herr Buchholtz, der uns drei Eier auf den Tisch gelegt hatte. Unsere Nachbarn zeigten sich August gegenüber durchweg sehr großzügig. Natürlich hätten wir ihn auch allein satt bekommen, doch als die Zeit heranreifte, da er lieber Sperlinge und Mäuse fraß, musste ich mich nach Hilfe umsehen, nach Lieferanten gewissermaßen, die mich mit ziemlicher Regelmäßigkeit unterstützen konnten.
Zum Glück befand sich unter den Zuschauern am Zaun ein Taxifahrer aus unserem Dorf, ein jüngerer, kleiner Mann mit einer Zigarre im Mund ich erwähne die Zigarre, weil ich ihn nie ohne Zigarre gesehen habe , der zu mir sagte: Gib mir einen Beutel mit; was du für den brauchst, lese ich von der Landstraße auf und bring es dir! So einfallsreich war der Mann. Er muss eine Vorliebe für Bussarde gehabt haben. Welch fremder Mensch übernimmt schon so eine Aufgabe und sammelt verunglückte Spatzen? August brauchte mindestens vier Stück am Tag. Später verlangte er sechs. Den mausetoten Spatzen zertrümmerte er überflüssigerweise mit dem Schnabel den Schädel, und bevor er sie verspeiste, rupfte er sie so sorgfältig, bis sie federlos und nackt im Gras lagen. Mäusen gegenüber verhielt er sich freundlicher. Sie würgte er ohne jede Zubereitung im Ganzen hinunter.
Mutter hatte für diese Art von Mahlzeiten kein Verständnis und lief jedes Mal mit geschlossenen Augen und seltsame Laute ausstoßend davon. Mit Vergnügen erinnerte sie sich der mühevollen Verfütterung von Eiern. Das war schön, sagte sie, da war er noch klein, niedlich und unbeholfen. Hin und wieder versuchte sie daher, Augusts heftige Lust, Spatzenschädel zu zertrümmern und Mäuse komplett zu verschlingen, einzuschränken, wenn nicht gar abzugewöhnen: Sie kaufte ihm beim Fleischer Koteletts. Aber bitte ohne Fettrand, fügte sie hinzu.
August reagierte wie ein Mensch, dem man plötzlich statt Koteletts nackte Sperlinge serviert. Er veranstaltete ein Geschrei auf der Wiese, mit dem er zumindest die Männer und Kinder auf seine Seite brachte. Die fanden es natürlich, dass sich August auf Mäuse und Spatzen spezialisiert hatte. Ich übrigens auch. Mutter aber kippte die Straßenausbeute des netten Taxifahrers weg und legte August heimlich Koteletts hin. Das erfuhr ich sofort. August kam mir eines Mittags entgegengelaufen, zerrte ein Kotelett über die Gehwegplatten vor meine Füße und jammerte los. Was mir bisher nicht gelungen war, gelang Herrn Buchholtz, der Mutter wissenschaftlich fundiert auseinandersetzte: Lassen Sie das, sonst gewöhnt er sich zu sehr an Haus und Mensch, ist zu guter Letzt kein echter Bussard mehr und wird später keinen Anschluss im Walde finden; denn dort gibts ja keine Koteletts!
Wir werden noch sehen, dass an diesem Satz nur stimmte: Im Wald gibts keine Koteletts!
Mutter jedoch achtete Herrn Buchholtz gut gemeinten Rat, stellte die Geheimaktion Koteletts ohne Fettrand für August ein und konnte so wenig wie Herr Buchholtz und ich ahnen, dass unser Bussard wissenschaftliche Erkenntnisse total missachten würde.
Fortan mied sie jede Beteiligung an Augusts Spatzen- und Mäusemahlzeiten. Nicht einmal die Tüte mit der Aufschrift Zentrum-Einkauf macht Freude nahm sie dem Taxifahrer mehr ab. Wenn ich nicht anwesend war, musste er sie mit den toten Vögeln im Schuppen abstellen. Das tat er allerdings, ohne zu murren. So groß war seine Liebe zu unserem Bussard.
Am fünfzigsten Tag brachte er einen gelben Luftballon mit: Pass auf, Junge, ich hab eine Idee! Wir bringen August das Fliegen bei.
Mit dem Ballon? Im Wald hat er auch keinen Luftballon und fliegt, wenn er fliegen kann?
Gewiss, aber wir wollen erreichen, dass er eher fliegt, nicht?
Mir leuchtete nicht ein, wie ein Bussard fliegen sollte können, wenn er noch gar nicht fliegen kann, war jedoch neugierig, was der Mann mit dem Ballon anstellen wollte. Wir werden ihn reizen, seine Fluglust forcieren!
Forsieren? Was ist denn das?
Nachdenklich lutschte er an seiner Zigarre. Forcieren? Forcieren ist eben, das ist, wenn man was forciert, statt weiterer Worte krochen dicke Rauchwolken aus seinem Mund, da geht es schneller, wenn mans forciert. Er schien mit seiner Auskunft nicht völlig zufrieden zu sein, sah sich etwas im Hof um, erblickte unsere Leiter, stieg auf ihr zum Schuppendach hinauf. Ich zeig dirs gleich, rief er von oben, und plötzlich krachte es. Die gelben Fetzen des zerplatzten Ballons segelten vom Dach.
Das ist forcieren?
Quatsch; ich bin mit der Zigarre drangekommen!
Und ich hatte fast vermutet, das gehöre zu seinem Programm. Auf solche Pannen schien er gut vorbereitet zu sein. Er holte einen neuen Ballon hervor, diesmal einen roten. Siehste, ich hab genügend mit! Zum ersten Mal sah ich ihn seinen Zigarrenstummel aus dem Mund nehmen. Im hohen Bogen warf er ihn in Buchholtzes Garten und blies den Ballon auf.
August saß wie ein strenger Wächter still auf dem Feldstein an der Hauswand und ließ sich von der Sonne warmscheinen. Dem Mann auf dem Dach widmete er keine besondere Aufmerksamkeit. Anders die Leute am Zaun: stumm und andächtig schauten sie zu ihm hoch. Sicherlich waren einige auch gespannt, ob Forcieren das war, was sie sich darunter vorstellten.
Und wo kommt der Wind her?, rief der Taximann.
Von hinten.
Günstig, günstig! Er streckte den rechten Arm in die Höhe. Der Ballon schwebte hoch, trieb auf die Wiese.
August war von seinem Feldstein gesprungen, den Luftballon im Blick, lief er durchs Gras.
Siehste, das haut hin! Siehste!, schrie der Taxifahrer und zeigte auf August.
Tatsächlich, der Bussard öffnete ein wenig seine Flügel, trabte mit zum Himmel gedrehtem Schnabel weiter.
Eure Obstbäume stören, sagte der Taxifahrer. Wenn der Ballon zwischen die Äste trudelt, missglückt das Experiment! Er trudelte zwischen die Äste, verklemmte sich in einer Astgabel.
Aus! Aus! Aus! Ich hab ja gesagt: Die Obstbäume sind im Wege! Ärgerlich blickte er vom Dach auf die Baumkronen herunter und kratzte sich die Stirn.
Während ich mit einem längeren Stock den Ballon aus den Zweigen stieß, lief August, dem die Blätter jede Sicht zum Luftballon versperrten, zu seinem Feldstein und sprang auf ihn zurück wie auf einen Startblock.
Bitte Bindfaden, am besten Zwirn!
Und ich dachte, rief Mutter aus dem Fenster, Sie wollen eine Säge und unsere Bäume umlegen!
Einfälle hatte der Mann, das war nicht zu leugnen. Er knüpfte den Zwirnsfaden an den roten Ballon und ließ ihn nur so weit wegfliegen, dass er zwischen Schuppendach und erstem Obstbaum über der Freien Wiese baumelte.
Blitzschnell jagte August vom Feldstein hinüber, stieß einen jammernden Laut aus, stoppte genau unter dem Luftballon seinen Lauf und war ganz aufgeregt.