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Abschied von Rostock von Rudi Czerwenka
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Preis E-Book:
7.99 €
Buch:
10.00 €
Veröffentl.:
15.05.2017
ISBN:
978-3-95655-792-7 (Buch), 978-3-95655-793-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 92 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Biografisch
Biografischer Roman, Moderne und zeitgenössische Belletristik, Belletristik: Themen, Stoffe, Motive: Seelenleben, Nordostdeutschland, Ostseeküste und -inseln, Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland: Kalter Krieg (1945 bis 1990 n. Chr.)
Jena, Rostock, Kröpelin, Lehrer, Koch, Schriftsteller, 2. Weltkrieg, Bad Sülze, Volkspolizist, Liebe, DDR, 20. Jahrhundert, Familie, Biografie, Humor, Seniorenheim, Ahlbeck, Schule
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So menschenleer und brachliegend wie nach dem Dreißigjährigen Krieg, wie in dem alten Volkslied vom Maikäfer besungen, sah es nach dem vorerst letzten Völkermorden in Europa nicht aus. Emil musste es wissen, er hatte sowohl in Mecklenburg als auch in Vorpommern vorübergehend sein Zuhause gefunden. Zuerst hatte dieser schmale Landstrich an der Ostsee noch ganz anders geheißen, war nach der damaligen Bezirkshauptstadt benannt worden. Aber da war Schwerin und sein Schloss als Wohnsitz für die Abgeordneten noch nicht im Streitkern der Debatten.

Der Name Mecklenburg-Vorpommern für eines der neuen östlichen Bundesländer wurde erst mit der Wiedervereinigung amtlich und schriftlich festgelegt. Da das ein wenig zu lang erschien, wurde es zu Meck-Pomm abgekürzt. Eine nochmalige Reduzierung hättte bei MG geendet, aber das war ein Schusswaffe und demnach verpönt.

Emils Erfahrungen kamen direkt aus den früheren Grenzgebieten von Mecklenburg und Vorpommern, so auch von Ribnitz und Damgarten. Ein Unterschied zwischen den beiden Orten war nicht zu bemerken, höchstens in der Größe der jeweiligen Bauwerke. Auch die einst geteilte Welt auf der Halbinsel Fischland bis Zingst lebte nur noch in den Geschichten der Ureinwohner weiter. Und das stille Dorf, in dem Emil als Schulmeister tätig war, dämmerte in völliger Abgeschiedenheit dahin, egal ob mecklenburgisch oder vorpommersch.

Allerdings hatte man bereits im vorigen Jahrhundert versucht, das Land in die allgemeine Entwicklung einzubinden. Heute ist es fast unglaubwürdig, dass man damals innerhalb von zwei Stunden ohne umzusteigen mit der Eisenbahn von Berlin bis nach Heringsdorf gelangte, mit Kind und Kegel, mit Dienerschaft und mitreisender Prominenz, um auf Usedom die Sommerzeit zu genießen. Gleiches galt für die Insel Rügen.

Auch die Landwirtschaft erlebte eine Blüteperiode. Großställe beherbergten die Rinder im Winterhalbjahr, im Sommer wurden sie auf die kleineren Inseln verfrachtet, in die Freiheit. Am östlichen Ausläufer der Halbinsel Zingst entstand ein Betrieb, der Grünfutter aufnahm, zu Pellets verarbeitete und an die vorherigen Produzenten zurücklieferte.

Auch Emil und andere Kollegen Schriftsteller wurden eingeladen, sich das einmal anzusehen. Zuerst ging's in die Pelletfabrik. Dann traf man sich am Strand, wo eine Kolonne hochachsiger Autos auf die Gäste wartete. Mit je einem ortskundigen Fahrer, der den Bodden schon zu seinen Kinderzeiten per Fahrrad überwunden hatte, ging es weiter bis zur aus dem Dunst herausschimmernden Insel. Man wurde nicht nass, höchsten innerlich, denn jeder Pkw führte eine Flasche Schnaps mit, die bis zur Landung entleert werden musste. Auf dem Inselchen traf man sich wieder. Alles war vorbereitet. Die Frau des Gutsdirektors spielte Gitarre. Er selbst entzündete den Reisighaufen. Die Gäste labten sich an Bier und Räucheraal.

Später einmal traf Emil auf den ehemaligen Direktor des ehemaligen Volkseigenen Gutes und sprach mit ihm über seine künftigen Pläne. Er wolle nach China oder in die Mongolei gehen und dort in der Wüste Gobi für den Aufbau der Viehwirtschaft arbeiten.

All das ist mal gewesen, auch die Existenz der vorpommerschen Werften. Wenn Emil jetzt per Taxi durchs Land rollt, meistens zu irgendeinem Arzttermin, dann sind die Straßen frei von jeglicher Betriebsamkeit. Nichts von „blühenden Landschaften“, abgesehen von den Rapsfeldern. Der Nordosten der Bundesrepublik scheint beim Wiederaufbau übersehen oder vergessen worden zu sein. Die Hallen der einstigen Großbetriebe stehen noch, aber unter neuen Namen. „Abschleppdienst und Reparaturwerkstatt“ steht an dem einen. Der Hof ist vollgepfropft von Autos aller Typen und Größen. Wer hat die alle abgeschleppt? An einem Haus lockt „Fremdenzimmer frei“, an einem anderen „Eier-Automat“ ein paar Kilometer weiter - „Ei, Ei, Ei - Hier fährt man doch nicht vorbei!“ Wer möchte in dieser Einöde übernachten, auch mit Frühstück mit vielleicht nestwarmem Ei? An einer scharfen Kurve, zusätzlich gefährdet durch mehrere gerade an dieser Stelle errichteten Häuser hängt ein Schild „Gaststätte zum Himmel“. Der Wirt scheint ein Witzbold zu sein. Den wenigen Ansiedlungen am Straßenrand ist anzusehen, wer hier zu Hause ist, Rentner mit oder ohne Sparkonto, Arbeitslose oder Lohnsteuerzahler. Entweder ist der gesamte Besitz einschließlich Vorgärten abrissfähig und verwahrlost, oder das Wohnhäuschen ist schön bunt renoviert, alles andere aber sich selbst überlassen.

Emils Taxifahrer lehnte den Vorschlag, sich nach dem strapaziösen Arztbesuch und vor der Rückfahrt noch eine Kaffeepause zu gönnen, ab und verwies auf ein ihm bekanntes Lokal unterwegs auf dem Heimweg. Schon nach kurzer Fahrt waren sie am Ziel, vor dem von ferne winkenden Waldrand, ein großflächiger Parkplatz mit einigen flachen Gebäuden ringsum. Außer ihnen parkte ein einziges Auto.

Der Fahrer durchlüftete bereits den Wagen, seine Frau saß noch am Gästetisch und zahlte. Emil und sein Taximann suchten sich einen schattigen Außentisch und betraten dann das Lokal. Die Wirtin kassierte draußen. Im Lokal herrschte also Ruhe, auch am recht leeren Kuchenbüfett. Aber sie wollten ja nur Kaffee trinken und gingen wieder nach draußen, wo sie nun von der Wirtin begrüßt wurden. Sie und der Taxifahrer kannten sich. Er war früher als Alleinunterhalter unterwegs gewesen, sie hatte eine Nähstube betrieben und ihm sein Karnevalskostüm zurechtgeschneidert. So fand Emil seine Ruhe, und die beiden unterhielten sich, unter anderem über Tricks, wie man Versicherungen überzeugen könnte, nach etwaigen Unfällen die vollen Kosten zu übernehmen. Das wuchs sich zu einem längeren Gespräch aus, denn der Taxifahrer hatte seine Erfahrungen. Als sie endlich weiterfuhren, gerieten sie in Wolgast in einen längeren Stau. Aber der Fahrer kannte sich auch hier aus, scherte aus, umging den Stau und ordnete sich irgendwo an der Spitze neu ein. Sie kamen jedenfalls pünktlich zum Abend ins Seniorenheim.

 

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