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Königs Kind von Karina Brauer
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Preis E-Book:
8.99 €
Veröffentl.:
18.06.2015
ISBN:
978-3-95655-376-9 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 491 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Liebesroman/Spannung, Belletristik/Liebesroman/Geschichte/20. Jahrhundert, Belletristik/Verbrechen, Belletristik/Thriller/Spannung, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Jüdisch, Belletristik/Krieg & Militär
Thriller / Spannung, Kriegsromane, Kriminalromane und Mystery, Familienleben, Belletristik: religiös, spirituell, Bezug zu Juden und jüdischen Gruppen, Belletristik: romantische Spannung, Liebesromane, 20. Jahrhundert (1900 bis 1999 n. Chr.)
Krebs, Schwerin, Liebe, Ehe, KZ, Jude, SS, Kinder, Tod, Trauer, Gewalt, Suizid, Stasi, Republikflucht, Freunde, 20. Jahrhundert, Wende, Familienbeziehungen, Familie, Frauen, Freundschaft, Geheimnis, Heirat, Selbstmord, Spannung, Starke Frauen, Vergewaltigung, DDR
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Ein halbes Jahr nach meiner Geburt wurde mein Vater zum Wehrdienst gezogen. Er blieb drei Jahre bei der NVA. Man hatte ihn mit der Aussicht auf einen Studienplatz gelockt. Als er dann wieder zurückkehrte, blieb er auch nur wenige Monate. Vater verließ uns wieder, weil er im September desselben Jahres ein vierjähriges Ingenieurstudium begann. Vater, Mutter, Kind waren wir drei nur in seinen Semesterferien und an den wenigen Heimfahrtwochenenden, die wir gemeinsam verbrachten. Mit und ohne Vater hatte ich eine schöne Zeit, also so richtig vermisste ich ihn nicht.

Ich beendete mein erstes Schuljahr, da war er wieder da und er blieb und sogleich veränderte sich unser ruhiges, beschauliches Leben. Vater bestand nämlich darauf, dass wir zu seinen Eltern nach Kaltlitz ziehen. Er hatte in der Kreisstadt Bärzow eine Arbeit in der PGH bekommen und die Mutter sollte die Leitung des Kindergartens der LPG übernehmen. Nun, später kam die Wahrheit ans Licht. Es war nicht mein Vater, der das alles wollte, sondern sein Vater. Mein Vater hatte einfach nicht den Mut gehabt, Großvater Bernhard zu sagen, dass wir doch lieber in Schwerin bleiben wollen. Dort hätte Vater nämlich auch Arbeit gehabt. Unter Tränen packten Mutter und ich unsere wenigen Habseligkeiten und folgten dem Vater. Ich spürte, dass ein wichtiger Lebensabschnitt für mich endete. Ja, es endete so vieles, was mir lieb geworden war.

Ich ahnte, es würde bald auch keine Sonntagsspaziergänge mit Großvater Hannes mehr geben. Dass es eigentlich nie Spaziergänge waren, das spielte keine Rolle. Ich nahm damals sicherlich sowieso an, dass außer dem Großvater und mir niemand wusste, dass wir nach dem Verlassen der Wohnung sogleich zum Frühschoppen gingen.

Anfangs, ich war vielleicht fünf Jahre alt, da erschrak ich fürchterlich, als Opa Hannes zu mir sagte: „Komm, Nava, wir gehen spazieren.“ Also Spaziergänge kannte ich nur von den gemeinsamen Unternehmungen mit meinem Vater, und diese Spaziergänge waren sehr lange und sehr langweilig und sehr anstrengend – jedenfalls für mich.

Aber ich wollte Großvater Hannes  eine Freude machen und so zog ich mich schweren Herzens an, um ihn zu begleiten. Wie erstaunt war ich, als wir nach kurzer Strecke eine Gaststätte betraten. Hier wurden wir freundlich begrüßt, eine Kapelle spielte einen Tusch. Der dicke Kellner, der zu uns an den Tisch kam, fragte sogleich: „Herr Kobald, wie immer?“

Und Großvater nickte. Aha, dachte ich, der Großvater ist also der Herr Kobald. Bevor der Kellner ging, zeigte er noch auf mich. Wieder nickte Großvater. Da richtete der Mann in dem schwarzen Anzug an mich die Frage, ob ich denn Eis mit Früchten und Sahne haben möchte. Ich sah meinen Herrn Kobald an, der lächelte gütig und nickte. Also blickte ich den Kellner auch nur an und nickte.

Endlich verschwand er. Ich schaute Großvater mit großen Augen fragend an. „Was ist?“, kam nach einer ganzen Weile von Großvater.

„Ich dachte, wir gehen spazieren.“

Da lachte Hannes Kobald so laut, dass sich alle zu uns umsahen.

In dem Moment, als der Kellner zurückkehrte und vor Großvater ein Bier und einen Schnaps stellte und mir einen großen Eisbecher mit einem kleinen bunten Papiersonnenschirm zuschob, sagte Hannes: „Nee, Kleines, ich bin in Russland genug gelaufen.“ Er lachte wieder, der Kellner stimmte mit ein.

Ich verstand gar nichts, lachte aber auch mit. Was interessierte mich Russland? Das kannte ich nicht. Der Großvater bestellte sich noch einmal Getränke. Ich aß genüsslich meinen Eisbecher leer. Als der Herr Ober, wie Opa den Kellner immer ansprach, wieder an unseren Tisch kam und Großvater das dritte Mal Getränke brachte, wurde dieser gebeten, mir einen zweiten Eisbecher zu bringen.

Kurze Zeit später stand der dann vor mir. Opa hatte das vierte Bier, den vierten Schnaps. Der Ober zwinkerte mir zu, warum - das wusste ich nicht. Ich fand ihn doof. Zu Opa meinte der Mann nun: „Na, Herr Kobald, da wird ja genug Schweigegeld bezahlt!“ Dann lachte er wieder und verschwand endlich.

Großvater beugte sich jetzt über den Tisch und flüsterte mir zu: „Erzählst aber nicht, wie viel wir getrunken haben, nicht wahr!“

Nun hatten wir unser Geheimnis, und ich versprach, ihn nie zu verraten. Wir hatten ja auch nichts getrunken, nur der Opa, ich nicht.

Von da an gingen wir an jedem Sonntagvormittag spazieren. Ich liebte diese Spaziergänge sehr. Ich bekam mein Eis - zweimal Getränke für den Großvater bedeuteten immer ein Eis für mich. Ich war selig. Außerdem lernte ich doch so viel von Großvater. Er brachte mir zum Beispiel das Rechnen bei, nämlich beim Geldzählen, und dann erzählte er immer so schöne Geschichten. Das Allerschönste an diesen Sonntagvormittagsstunden war jedoch, dass ich mir Musik wünschen durfte, die die Kapelle dann spielte.

Großvater bezahlte dann eine Runde für die Musiker und alle waren glücklich. Was eine Runde war, das wusste ich nicht. Es war auch egal. Manchmal ließen mich die Männer sogar mit in ihrer Kapelle spielen. Einer meinte einmal zum Opa, dass ich Talent hätte und der Großvater solle sich darum kümmern.

Das tat Hannes Kobald dann auch. Ich bekam eine Triola geschenkt und spielte bald alle Kinderlieder, die in dem dazugehörenden Notenheftchen waren, auswendig. Damit war meine Talentförderung aber auch beendet.

Mit unserem Fortzug aus meiner Geburtsstadt war all das plötzlich vorbei.

Nie habe ich den Großvater verraten, das glaubte ich jedenfalls. Großmutter Agnes wollte ja auch nie von mir wissen, was und wie viel der Großvater getrunken hatte. Agnes fragte nur immer, ob ich denn Eis gegessen hätte und wie viel. Wahrheitsgemäß antwortete ich ihr natürlich immer. Das war doch kein Geheimnis!

Ich wunderte mich allerdings immer, warum sie nach unserem sonntäglichen Spaziergang so etwas wissen wollte und warum sie dabei immer so schelmisch grinste.

Königs Kind von Karina Brauer: TextAuszug