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Die Ochsenwette. Nach dem Orientalischen geschrieben von Gerhard Branstner
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
07.09.2022
ISBN:
978-3-96521-758-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 178 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Kurzgeschichten
Belletristik: Humor, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories
Humor, Heiterkeit, lachen, Kurzgeschichten, Orient, Weisheit, Anekdoten
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16. Eine Lebenskunst

Ein Mann verwendete die beste Zeit seines Lebens darauf, die Kunst des Drachentötens zu erlernen; und er hatte sein ganzes Vermögen dafür hingegeben.

Einen Drachen aber bekam er niemals zu Gesicht.

Also: Kunst und Leben treffen sich

mitunter nur gelegentlich

17. Der kostspielige Hofstaat

Ein König beklagte sich bei seinem Wesir darüber, dass zu wenig Geld in der Schatzkammer sei. „Ich glaube“, so sagte er, „die Beamten sind nicht ehrlich und nehmen zu viel für sich, sodass nur ein geringer Teil der Einnahmen in: die Schatzkammer gelangt.“

„Ich habe eine andere Erklärung“, entgegnete der Wesir. „Diese Erklärung kann ich jedoch nur in Anwesenheit des gesamten Hofes geben.“

Der König war damit einverstanden und ließ alle Hofleute rufen. Als der Hof vollständig versammelt war, bestieg der König seinen Thronsitz. Sogleich trat erwartungsvolle Stille ein. Jetzt kam auf einen Wink des Wesirs ein Mann in den Saal, in seinen Händen aber trug er einen riesengroßen Klumpen Butter. Und sobald er den Saal betreten hatte, übergab er den Klumpen an den ihm am nächsten stehenden Höfling, der ihn wiederum seinem Nachbarn reichte. So wanderte der Klumpen Butter von Hand zu Hand und wurde zusehends kleiner. Und als er endlich zum Wesir gelangt war, hatte er kaum noch die Größe einer Faust.

Der Wesir reichte dem König die kleine Butterkugel und sagte: „Wir alle konnten sehen, dass niemand auch nur die kleinste Menge Butter auf unehrliche Weise beiseite gebracht hat, und doch ist sie auf einen Bruchteil ihrer einstigen Menge zusammengeschmolzen. Dem kann man nicht beikommen, es liegt in der Natur der Sache.“

Der König wusste darauf nichts zu sagen und erkannte die Erklärung des Wesirs an. Doch da trat der Mann, der die Butter gebracht hatte, vor den König und sagte: „Es liegt nicht in der Natur der Sache, es liegt an den vielen Händen, durch die die Butter gegangen ist. Ebenso verhält es sich in allen anderen Dingen. Auch wenn die Beamten nicht unehrlich sind, so sind es doch zu viele, an deren Fingern etwas hängen bleibt.“

Also: Geht ein Ding von Hand zu Hand,

wird es bald nicht mehr erkannt

Oder: Was alle betasten,

lass besser im Kasten

Und: Viele Hände –

schnelles Ende

18. Der Anfang und das Ende

Ein Jäger hatte einen seltenen Vogel gefangen und ging in die Stadt, um ihn auf dem Markt zu verkaufen. Als er an dem Verkaufsstand des Krämers vorbeikam, sprang dessen Katze nach dem Vogel und fraß ihn auf. Der Hund des Jägers stürzte sich auf die Katze und biss sie tot. Da erschlug der Krämer den Hund, und der Jäger erschlug den Krämer.

Sobald die Verwandten und Freunde des Krämers davon erfahren, rotteten sie sich gegen den Jäger zusammen, der wiederum seine Verwandten und Freunde zu Hilfe rief. Und die Freunde wiederum riefen ihre Verwandten und Freunde zu Hilfe, bis sich schließlich alle wehrhaften Männer der Stadt in zwei feindlichen Haufen gegenüberstanden. Jetzt begann der Kampf, und der Tod hielt reichliche Ernte, sodass am Ende kaum einer am Leben blieb. Eben da fiel ein räuberisches Heer in die Stadt ein; und da es niemanden mehr gab, der es abwehren konnte, wurde die Stadt geplündert und gebrandschatzt, und keiner kennt heute ihren Namen mehr. Und das alles, weil die Katze den Vogel gefressen hatte.

Also: Zwietracht im Haus

lockt den Räuber zum Schmaus

Und: Jeder Streit

hat seine Zeit

19. Der Dieb als Lehrer

Ein Dieb wollte ein Ross stehlen, wurde aber dabei erwischt.

Der Besitzer sagte zu ihm: „Wenn du mir zeigst, wie man Pferde stiehlt, sollst du dieses Tier bekommen.“

Der Dieb sagte: „Das will ich dir zeigen“, schwang sich auf das Pferd und sprengte davon.

Der Besitzer rannte hinterher und rief: „Haltet ihn, haltet den Dieb!“

Der Dieb ließ den Mann näher herankommen, aber nicht zu nahe, und sagte: „Was schreist du so? Das Pferd gehört mir!“

„Nein, du hast es gestohlen!“

„Das gebe ich zu“, sagte der Dieb. „Wie könnte ich sonst behaupten, dass es mir gehört. Indem ich es stahl, habe ich dir gezeigt, was du sehen wolltest. Dafür hast du mir das Pferd zugesagt. Was beklagst du dich jetzt?“

Damit ritt der Dieb davon, der Besitzer des Pferdes aber blieb stehen und kratzte sich eine Weile hinterm Ohr.

Also: Wer dem Rossdieb vertraut,

hat auf Rossmist gebaut

20. Der schwierige Schuhkauf

In einem kleinen Dorf lebte ein Mann, der wollte sich neue Schuhe kaufen und nahm dafür zu Hause Maß. Danach machte er sich auf den Weg in die Stadt. Als er auf dem Markte angekommen war und nach dem Maßzettel suchte, musste er feststellen, dass er ihn verloren hatte.

Statt nun die Schuhe gleich am Fuß zu probieren, ging er wieder nach Hause. Der Nachbar, dem er sein Missgeschick klagte, lachte über den Unverstand des Mannes, der dem Maßzettel mehr als den Füßen vertraute.

Am nächsten Tage machte sich der Mann wieder auf den Weg zum Markt. Diesmal aber passte er die Schuhe am Fuß an, kaufte sie, nahm sie unter den Arm und ging zufrieden nach Hause. Dort probierte er die Schuhe noch einmal an und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass sie ihm zu klein waren. Am nächsten Morgen probierte er sie ein weiteres Mal und erstaunte wieder, denn jetzt waren sie ihm zu groß. Ganz verstört lief er aus dem Haus und berichtete dem Nachbarn von der merkwürdigen Erscheinung.

„Nach dem langen Weg zum Markt“, erklärte ihm dieser, „waren deine Füße angeschwollen, und danach hast du die Schuhe gekauft. Auf dem Heimweg schwollen deine Füße noch mehr an, und die Schuhe erschienen dir, als du sie jetzt anprobiertest, zu klein. Heute Morgen aber, da du deine Füße noch nicht angestrengt hast, müssen dir die Schuhe natürlich ein wenig zu groß sein.“

„Und warum hast du mir das nicht gestern gesagt?“, fragte der Mann.

Also: Dem Dummkopf gib als zweiten Rat,

wie er den ersten zu gebrauchen hat

Und: Unverstand verkehrt zuweil

den besten Rat ins Gegenteil

21. Die heilsame Täuschung

Ein Mann, der viele Jahre in fremden Ländern zugebracht hatte, kehrte im Alter in seine Heimat zurück. Dort gesellte sich ein anderer Reisender zu ihm; und als sie mehrere Dörfer und Städte hinter sich gelassen hatten, wies der Reisegefährte auf eine Stadt und sagte: „Sieh, dies ist dein Geburtsort!“

Der Mann errötete, denn er erkannte ihn nicht wieder. Der andere wies auf eine Hütte: „In diesem Haus wurdest du geboren!“

Da schluchzte der Mann, denn die Hütte war verfallen und von allem Leben verlassen.

„Und hier“, sagte der andere, auf einen Grabhügel zeigend, „liegen deine Vorfahren begraben.“

Da weinte der Mann, denn er war zu spät gekommen, um seine Eltern noch einmal zu sehen.

Sein Reisegefährte aber begann laut zu lachen und rief: „Dies ist doch gar nicht dein Geburtsort! Wie konntest du dich nur so anführen lassen?“

Da war der Mann tief beschämt, und als er bald darauf den Ort seiner Geburt erreichte und das Haus und die Gräber seiner Ahnen erblickte, da gedachte er der Tränen, die er am unrechten Ort vergossen hatte. Und seine Trauer war nicht mehr rein und ungestört, und er konnte ihrer leicht Herr werden.

Also: Nach der Trauer aus Versehen

will die echte nicht mehr gehen

Die Ochsenwette. Nach dem Orientalischen geschrieben von Gerhard Branstner: TextAuszug