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Elefant auf der Briefwaage.40 Feuilletons von Jürgen Borchert
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
30.01.2014
ISBN:
978-3-86394-694-4 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 152 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Biografisch, Belletristik/Kurzgeschichten
Historischer Roman, Belletristik: Erzählungen, Kurzgeschichten, Short Stories, Biografischer Roman, Mecklenburg-Vorpommern
Kahlbutz, Ludwig Reinhard, Fritz Reuter, Adolf Demmler, Mecklenburg, Strelitz, Schwerin
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Der noch andere Kleist

Ich meine nicht Heinrich von Kleist, den hochverehrten Dichter des »Zerbrochenen Kruges«, auch nicht den anderen Kleist, Ewald von Kleist nämlich, der ein alter Haudegen und fridericianischer Sänger gewesen ist, ich meine den noch anderen Kleist, den alle vergessen haben und den auch ich nicht kennte, wäre mir nicht der Zufall zu Hilfe gekommen und der Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin. Natürlich war auch dieser noch andere Kleist ein Dichter, was wiederum gar nicht so sehr natürlich ist, denn eigentlich waren die Kleiste eine sehr martialische Familie, zahlreich und fruchtbar; Friedrich der Große hat gesagt: »In Pommern sitzt hinter jedem Busch ein Kleist.« Allein sechzig Offiziere dieses Namens haben in Friedrichs Schlesischen Kriegen ihr Leben gelassen! Wie viele Kleiste am Leben geblieben sind, vermag niemand zu sagen; die Genealogen interessieren sich ja immer nur für die Toten.

Franz Alexander von Kleist, der in keinem Literaturlexikon steht, hat mit seinem Oheim Ewald und mit seinem Vetter Heinrich nach dem Dreißigjährigen Kriege einen Vorfahren gemeinsam; die wie ein Gestrüpp in der Mark wuchernde Familie der Kleiste brachte neben kriegerischen Dornen erstaunlicherweise auch drei Blüten hervor: Ewald, Franz und Heinrich, die allerdings ganz unterschiedliche Augen und Herzen erfreuten und in der Zeit so verschiedene Wirkungen hatten, wie es Blüten eines Baumes nur haben können. Heinrich: ein Olympier. Ewald: ein literaturwissenschaftlicher Fakt. Franz Alexander: ein Vergessener.

Franz Alexander von Kleist kam auf diese Welt am Heiligen Abend des Jahres 1769 und hat sie schon am 8. August 1797 wieder verlassen. Das hat ihn aber nicht gehindert, zwischendurch sehr fleißig zu schreiben und sich seine Gedanken zu machen über Gott und die Welt. Geblieben ist freilich nichts; in der Privatbibliothek des Großherzogs von Mecklenburg fand ich einen winzigen, schmalen, mit Kupfern geschmückten Band, 1799, also schon nach Franzens Tode bei Friedrich Viehweg in Berlin erschienen: »Liebe und Ehe in drei Gesängen von Franz Alexander von Kleist«, und der Großherzog hat mit schwarzer Tinte und krakeliger Sütterlinschrift allerlei alberne Marginalien in das Büchlein gepinselt und sie schamhaft (oder von sich überzeugt, wer will das wissen) mit einem schlichten F. gezeichnet.

Es war ja die Zeit der jungen Genies, und Durchlaucht, als ein schöngeistiges Schlitzohr bekannt, versenkte sich tief in die tönenden Oden des Franz Alexander und seiner Zeitgenossen; Anachreons Blütenkranz rutschte ihm dabei über die Augen, da konnte er das Elend seines Ländchens nicht sehen. Einmal allerdings kommt in Franzens Ode das Wortbild »bepurpurter Verbrecher« vor, das hat der Großherzog unterstrichen, dabei denke jeder, was er will.

»Welkt vor Psyches Liebessitze,
wo die schlanken Pappeln stehn,
in der schwülen Sommerhitze
ein geliebtes Tausendschön;
eilend schöpft sie dann im Kühlen
ihr Erquickung aus dem Bach,
schwärmt in seligen Gefühlen,
girrn des Pappelwalds Gespielen,
ihr die Turteltäubchen nach.«

Genügt Ihnen das? Was die Stiche in dem Bändchen angeht, so muss ich schnell noch ein kurioses Stückchen erzählen, denn der arme Franz Alexander von Kleist hat in Könneckes »Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationalliteratur«, Marburg 1886, Urständ feiern müssen, und zwar als - Friedrich von Schiller. Man sieht auf dem Bilde einen Herrn mit langer Nase und eine schöne Frau in einer Sommerlaube sitzen; die Frau hält ein kleines Mädchen auf dem Schoß, ein weiteres Exemplar dieser Gattung umspielt Franz Alexanders Knie, und darunter steht: »Schillers Familienbild aus dem Jahre 1797. Schiller und Lotte mit den Kindern Karl und Ernst.« So was passiert deutschen Literaturprofessoren, weil sie vor lauter Buchstabenwissen der Kenntnis der Kindermoden entraten (welcher Umstand keinesfalls an die klassischen Zeiten gebunden ist). Wahrscheinlich hat Könnecke, als er nach Schillerbildern suchte, immer nur die Nase als Richtpunkt benutzt. Die Nase aber ist die einzige Verbindung zwischen Schiller und dem noch anderen Kleist.

 

Elefant auf der Briefwaage.40 Feuilletons von Jürgen Borchert: TextAuszug