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Frontansprache an deutsche Soldaten, Gedichte aus dem Exil und Karikaturen des Bürgertums - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
(Pinnow 18.07.2025) Ein berühmtes Foto zeigt, wie der deutsche Dichter Erich Weinert während des Zweiten Weltkriegs an der Front per Lautsprecher von der sowjetischen Seite aus zu deutschen Wehrmachtssoldaten spricht, um sie zum Aufgeben und zum Überlaufen zu bewegen. Aber was hat er damals eigentlich genau zu seinen Landsleuten in der Uniform der Invasoren gesagt?
Antworten auf diese Frage gibt das dritte der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 18.07. 2025 bis Freitag, 25.07. 2025) zu haben sind. Erstmals 1951 erschien im Verlag Volk und Welt Berlin Memento Stalingrad. Worte als Partisanen. Gedichte - Flugblätter Reden. Mit schneidender Klarheit, tiefem Mitgefühl und unerschütterlicher Überzeugung richtet sich Weinerts Wort gegen den Wahnsinn des Krieges und gegen die Lügen des Nationalsozialismus. Ergänzt wird das Buch mit Dokumenten zum Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD), dessen Präsident Erich Weinert war.
Ein kurzes Vorwort umreißt das Anliegen dieses Buches:
An der Wende des zweiten Weltkrieges, in den Tagen und Wochen der Schlacht bei Stalingrad, hat der Dichter Erich Weinert auf dem Schlachtfeld zwischen Don und Wolga aus Schneelöchern und Schützengräben zu seinen deutschen Landsleuten in der Hitleruniform gesprochen, oftmals keine hundert Schritte von ihnen entfernt, ungeachtet des Granatfeuers, durch das die Lautsprecheranlage vernichtet und seine Stimme erstickt werden sollte. Vorher hatte er bereits über den Moskauer Sender in Gedichten und Ansprachen, die erfüllt waren von Scham, aber auch von brennender Liebe, zu den Deutschen an der Front wie auch zu denen in der Heimat gesprochen, Worte, die nach seiner eigenen Formulierung Partisanen waren. Auch nach der Stalingrader Schlacht nahm er in Moskau, erfüllt von tiefer Sorge um das Schicksal seines deutschen Volkes, diese Tätigkeit wieder auf. Regelmäßig sprach er über den Sender Moskau nach Deutschland. Die ihn hörten und seinen Rat befolgten, handelten vernunftgemäß und als echte Patrioten. Leider gelang es ihnen nicht, unser Volk vor der Katastrophe zu bewahren. Erich Weinert aber erlebte nach dem Zusammenbruch des Hitlerfaschismus öfter die Freude, in Deutschland beim Aufbau eines neuen, eines schöneren Vaterlandes auch so manchem, der bei Stalingrad womöglich noch auf ihn geschossen hatte, als Gefährten und Mitstreiter wiederzubegegnen.
Erstmals 1950 erschien im Verlag Volk und Welt Berlin Rufe in die Nacht. Gedichte aus der Fremde 1933 bis 1943 von Erich Weinert. Dieses Buch ist ein literarisches Zeugnis des Widerstands: In seinen Gedichten aus dem Exil gibt Erich Weinert den Entrechteten, Verfolgten und Kämpfenden eine Stimme. Ob als Appell an das Gewissen, als bittere Anklage oder satirischer Hieb. Weinerts Verse sind leidenschaftlich, politisch und mutig. Entstanden im Schatten des Faschismus, sprechen sie von Flucht, Kampf, Hoffnung und Menschlichkeit sowie von großer Zuversicht. Trotz alledem.
Lametta, Hermann! Satiren gegen die Torheit lautet der Titel eines Buches mit Parodien, Satiren, Glossen und Anekdoten, die dem 1955 im Verlag Volks und Welt erschienenen Sammelband Prosa Szenen Kleinigkeiten entnommen wurden.
Ob in parodistischen Romanfortsetzungen, grotesken Bühnenstücken oder spitzen Glossen - Erich Weinert seziert mit scharfer Feder die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit der Weimarer Republik und der frühen NS-Zeit. In diesen Texten funkelt nicht nur Witz, sondern auch Zorn, Mut und literarische Meisterschaft. Die Figuren heißen Porngrappel, Tabeshausen oder Kniep - Karikaturen eines entfesselten Bürgertums, verlogener Autoritäten und alltäglicher Feigheit.
Demselben Sammelband von 1955 entnommen wurde auch Auftritt der Geister. Szenen gegen das Vergessen. Das ist ein literarisches Dokument der Widersetzlichkeit, das mit scharfer Feder politische Masken zerreißt. Die teils satirischen, teils erschütternden Dialoge führen mitten hinein in deutsche Bahnhöfe des Ersten Weltkriegs, Villen in Shanghai, Gerichtshöfe des ungarischen Faschismus und Hinterzimmer deutscher Gymnasien unter der NS-Herrschaft. Weinert lässt Opportunisten, Fanatiker, Kriegsgegner und stille Helden aufeinandertreffen - in Szenen, die uns zeigen, wie nah das Gestern dem Heute ist.
Auftritt der Geister ist ein aufwühlender Blick in die politische Bühne des 20. Jahrhunderts - klarsichtig, anklagend und erschreckend aktuell.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Unmissverständlich zeigt dieses Buch die Schrecken des Krieges.
Aus dem Jahre 1943 stammt die Erzählung Saat in der Ukraine von Friedrich Wolf. Der schneebedeckte Winterhimmel über der ukrainischen Steppe birgt nicht nur die eisige Stille der Landschaft, sondern auch die unaussprechliche Tragödie des Krieges. Saat in der Ukraine nimmt den Leser mit auf eine erschütternde Reise über die Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs. Vor dem Hintergrund der endlosen Weiten des Schnees und der erfrorenen toten deutschen Soldaten schildert der Text mit schonungsloser Genauigkeit die brutalen Konsequenzen eines Krieges, der das Versprechen von Lebensraum ins Gegenteil verkehrt. Die Überreste Hitlers Armee sind zu einer düsteren Saat geworden, die das ukrainische Land in unzählige Leichenfelder verwandelt. Doch der Frühling wird kommen, und mit ihm eine bittere Wahrheit. Dieses Werk bietet eine eindringliche Reflexion über das Schicksal der Soldaten, das Ausmaß der Zerstörung und die moralische Anklage gegen den nationalsozialistischen Wahn. Ein Mahnmal gegen das Vergessen und eine literarische Anklage gegen die Lügen des Krieges.
Hier der Beginn dieses Buches:
Saat in der Ukraine
Als ich diesen Winter über die Schlachtfelder südöstlich des Don über Bogutschar, Meschkowa, Scheptuchowka, Millerowo und dann weiter zum Donez nach Swatowa mit einem unserer Gardekorps auf Lastautos und Schlitten fuhr, da boten während der Schneestürme die Donsteppe und das ukrainische Flachland einen toten, menschenleeren Anblick. Endloser Schnee, Schnee und Schnee. Man war von der glitzernden weißen Fläche, auf der man sich tagelang bewegte, geblendet. Man achtete schon kaum mehr auf die schwarzen Flecke, auf die zahllosen zerschossenen Panzer mit dem deutschen Kreuz, auf die im Schnee versinkenden, verlassenen deutschen Geschütze, von denen nur noch die Kanonenrohre herausschauten, auf die umgekippten schweren Lastautos, deren Räder gerade noch die ständig anwachsende Schneedecke überragten.
Nur an den Bahndämmen und in den zu Stützpunkten ausgebauten Dörfern sah man Haufen gefallener Hitlersoldaten, manche wie Wachsfiguren, angefroren in den seltsamsten Stellungen, so wie der Tod sie überrascht hatte. Am Bahndamm bei Millerowo knieten zwei deutsche Infanteristen mit ihren Gewehren, als wollten sie auf uns schießen, im tiefen Schnee. Der weiße Tod hielt sie konserviert in der letzten Sekunde ihres Lebens fest. Selbst wenn man Zeit gehabt hätte, die Steinhart gefrorene Erde gab keine Möglichkeit, sie zu beerdigen. Die Rotarmisten sagten mir öfters: Pass mal auf, was da alles im Frühjahr noch zum Vorschein kommt!
In seinem Werk Memento Stalingrad. Worte als Partisanen. Gedichte - Flugblätter Reden zeigt sich Erich Weinert als scharfsinniger Beobachter und leidenschaftlicher Ankläger des faschistischen Terrors. Die folgende Leseprobe dokumentiert eindrücklich, wie der Autor mit schonungsloser Klarheit und bitterer Ironie die propagandistischen Lügen Goebbels entlarvt anhand realer Briefe deutscher Frauen an ihre Männer an der Front. Weinerts Text wird so selbst zur Widerstandsschrift eine Stimme gegen das Vergessen und die Verharmlosung des Krieges.
Vor einiger Zeit hat der Marktschreier Goebbels den Leuten weismachen wollen, dass die Menschen in den bombardierten Städten sich mit guter Laune, ja mit Humor über ihr Ungemach hinwegsetzen. Besonders Frauen nähmen alle Unbequemlichkeiten mit heroischer Gelassenheit hin.
Nun müsste man doch in den Briefen, die solche Frauen an ihre Männer an der Front schreiben, wenigstens etwas von dem launigen Ton spüren, der Goebbels so imponierte. Das Seltsame ist nur, dass unter den zahllosen, bei gefallenen deutschen Soldaten gefundenen Briefen, in denen von Bombardements berichtet wird, nicht ein einziger ist, der Goebbels Vorstellungen von der heroischen deutschen Frau entspräche. Die Schreiberinnen sind meist so mit den Nerven fertig, dass sie nicht einmal mehr Rücksicht auf das seelische Gleichgewicht des Adressaten nehmen, der doch auch schon allerhand durchzumachen hat und dem die Stimmung zu versauen nach Goebbels Meinung schon eine Art Dolchstoß von hinten ist. Solche Erwägungen haben aber scheinbar in den von Angst und Verzweiflung erfüllten Frauenherzen keinen Platz mehr.
Ich nehme aus einem Päckchen nur drei Briefe wahllos heraus. Hier ist der erste. Da schreibt eine Frau Heinrichs aus Saarbrücken, die inzwischen nach Lothringen geflohen ist, an den Unteroffizier Heinz Heinrichs (Feldpostnummer 46 806):
Ihr werdet ja wohl wissen, dass nun auch Saarbrücken das Schicksal anderer deutscher Städte teilen musste. Weißt Du, die Schrecknisse der Nacht waren auch deshalb so groß, weil es eben einen einstündigen konzentrierten radikalen Angriff auf unsere ungeschützte Stadt gab. Das bisschen Flak war gleich erledigt. Wir sprachen am nächsten Morgen Heinz Mattern, als Flaksoldat bediente er mit 6 Kameraden ein Geschütz vor der Stadt, die Bestien stürzten sich gleich auf ihr Mündungsfeuer; 5 Kameraden sofort erledigt, darunter Paul Grischy. Eine Bombe schlug bei uns in den Keller in der Durchfahrt, hob den Bürgersteig hoch. Der Mörtelstaub lag uns im Mund. Das Haus steht noch, wenn auch nicht bewohnbar. Nur raus aus Saarbrücken! Aus allen Richtungen hagelten die Unglücksbotschaften, Ilseplatz, bei Haneckes, Winterberg, Erdmannstr., Malistatt, Burbach, Hohenzollernstr., die Lehrerhochschule, Gutenbergstr., Dudweilerstr. Mokkastuben mit zwei Nebenhäusern ist auch abgebrannt. Es ist so viel, ich weiß gar nicht alles. Irma ist mit ihren drei Kindern obdachlos geworden. Herr Hütt war tags zuvor nach Berlin gefahren zum Osteinsatz. Kurts Frau hat also auch dasselbe Schicksal, da wohnte auch die Mutter von Herrn Hoffmann. Es war furchtbar, als er mit der Mutter kam, was sie am Leibe hatten, war ihr eigen. So haben alle Leute, die wir kennen, etwas abbekommen, die einen mehr, die anderen weniger.
Das klingt nun verdammt nicht nach der guten Laune, die Goebbels der Welt einreden will.
Am Schluss lässt Frau Heinrichs ihre sehr schlechte Laune aber wieder an den Engländern aus, dass sie sich gar kein Gewissen daraus machten, ungeschützte Städte zu bombardieren.
Wie oft habe ich die Deutschen in meinen Radioansprachen gefragt: Seid ihr so blind, so einfältig oder so vergesslich, dass es euch nicht mehr in den Sinn kommt, wer diese Form der Kriegführung erfunden, zuerst angewendet und damit den Gegner erst gezwungen hat, sie auch gegen euch zu praktizieren? Habt ihr vergessen, wer schon vor fünf Jahren in Spanien Guernica und Barcelona, in diesem Kriege Warschau, Rotterdam, London und Saloniki bombardierte, alles ungeschützte Städte? Im Jahre 1938 war ich in Barcelona Zeuge der grausamen mörderischen Zerstörungen durch die Junkersgeschwader Hitlers. Damals rief ich am Barcelonaer Sender den Deutschen zu: Heut ist es Barcelona. Von hier aus nimmt das Verbrechen Hitlers seinen blutigen Anfang. Morgen schon kann es Paris und London sein. Sie sind nicht geschützter als Barcelona. Aber wiegt euch in Deutschland nicht in trügerischen Hoffnungen, dass all diese Verbrechen unvergolten bleiben! Übermorgen ist es Berlin!
Jedes Mal erinnere ich diese schrecklich vergesslichen Deutschen an die Tage, da sie mit Behagen Beifall klatschten, als Hitler ihnen versicherte, die englischen Städte erbarmungslos auszuradieren, und zitiere ihnen wieder alte deutsche Zeitungen, wie z. B. das Stuttgarter Neue Tagblatt, das am 8. August 1940 nach dem Bombardement englischer Städte schrieb: Ununterbrochen säen unsere Bomber Tod und Zerstörung, und diese Meldungen werden vom deutschen Volk mit dem Gefühl der tiefsten Befriedigung aufgenommen.
Hier liegt ein zweiter Brief vor mir, aus dem auch alles andere als heroische Gelassenheit atmet. An den Soldaten Berthold Anspach (Feldpostnummer 16 089) schreibt seine Mutter aus Wiesbaden:
Wenn du wüsstest, wie sie das schöne Mainz zugerichtet haben. 70 Prozent ist ein Trümmerhaufen. Ich war mit Tante Krammer drüben und habe auch nach Tante Kastriener geschaut, die Tochter, die das große Hutgeschäft hat, ist dem Erdboden gleich. Vor 14 Tagen ist ihr Mann an der Front gefallen, die armen Menschen sind ganz verzweifelt, so schlägt der Krieg Wunden, die nie heil werden, ich bin ganz niedergedrückt von dem, was ich gesehen habe, ach, es ist furchtbar. Mit Zigaretten ist es sehr schlecht, es sind ganze Lager in Mainz verbrannt, die ganze Zeit gibt es keine.
In diesem verzweifelten Brief ist keine Anklage. Solcher Briefe gibt es viele, meistens enden sie mit einer dumpfen fatalistischen Ergebung, nicht selten sogar mit Beschwörungen, die an religiöses Irresein erinnern. Nichts mehr von Siegeszuversicht wie vor einem Jahr, ja nichts mehr von der Selbsttröstung, der man häufig begegnete: Wir müssen es eben hinnehmen, es wird schon alles noch zu einem guten Ende kommen!
Von der hoffnungslosen Gemütsverfassung, in welcher sich besonders Frauen befinden, gibt ein dritter Brief Zeugnis. An den Soldaten Hans Kolß (Feldpostnummer 07 592 B) schreibt seine Frau aus Hamburg:
Um es geradeheraus zu sagen, der Angriff war sehr ernster Natur. Kurz einige Stichworte. Alsterpavillon, Alsterkamp, Eppendorfer Krankenhaus, Jerusalemkirche, Schäferkampsallee usw., Finkenwärder und die Deutsche Werft haben sie am hellen Mittag bombardiert. Ich stehe in der nächtlichen, einsamen, mondhellen Straße. Die Flak schießt, es kracht und splittert nur so. Der Tommy hat gleich unmittelbar nach der Warnung zu schießen angefangen. Die Hölle scheint losgelassen zu sein. Die schweren Torpedos pfeifen. Es dröhnt und kracht, als wenn die ganze Welt untergehn will. Die Erde erzittert, und die Scheiben klirren. Ich habe so was noch nicht erlebt. Weithin ist der Himmel rot. Es brennt. Eine Träne läuft über mein Gesicht, ich frage mich, ist das alles notwendig? Soll denn das das Ende sein? Lieber Herr und Vater, wir darben und hungern hier in der Heimat, nimm doch diesen Kelch von uns. Wir werden immer dünner und magerer, unsere Kräfte gehen bald zu Ende, ich fühle mich sehr elend.
Das waren drei Briefe von Hunderten. Diese drei Frauen haben nun zu ihrem Unglück noch ihre Männer an der Front verloren, vielleicht die einzigen, denen sie noch ihr Herz ausschütten konnten.
In den Gedichten aus Rufe in die Nacht. Gedichte aus der Fremde 1933 bis 1943 verdichtet Erich Weinert die Erfahrungen des antifaschistischen Exils, des Widerstands und der Kriegsjahre zu eindringlichen Appellen an das Gewissen. Die folgende Auswahl zeigt ihn als poetischen Ankläger und zugleich als Stimme der Hoffnung für ein anderes, besseres Deutschland. Seine Verse richten sich an Soldaten, Mütter, Mitläufer und Mutige gleichermaßen und rufen über die Zeiten hinweg dazu auf, Unrecht nicht schweigend hinzunehmen.
Wollt ihr im Bund mit diesen Räubern stehn?
MOSKAU 1942
Ein Räuber schleicht sich nachts in fremdes Haus,
Erschlägt den Wächter, leert die Kästen aus,
Ersticht die Kinder, will schon Feuer legen
Da plötzlich tritt der Hausherr ihm entgegen
Und segnet ihn mit fürchterlichen Schlägen.
Das Scheusal reißt das Fenster auf und schreit:
Man überfällt mich hier zu nächt'ger Zeit!
Was würdet ihr zu solcher Frechheit sagen?
Ein jeder Schlag zu wenig tut uns leid.
Man muss den Kerl wie einen Hund totschlagen!
Ein solcher Räuber ist die Hitler-Bande.
Wo sie in fremdem Haus mit Schimpf und Schande
Verprügelt wird, erhebt sie ein Gebrüll:
Wir wehren uns ja nur im fremden Lande,
Weil uns der Russe doch vernichten will!
Doch mag das Diebsgesindel noch so schrein,
Vor aller Welt entlarvt sind ihre Fratzen.
So brachen sie in jeden Frieden ein.
Das Blut der Völker klebt an ihren Tatzen.
Und ihr wollt dieses Packs Komplizen sein?
Euch haben sie in dieses Land gehetzt;
Sie zu bereichern, hat man euch befohlen.
Für sie habt ihr geplündert und gestohlen.
Für sie habt ihr das Land in Brand gesetzt.
Doch naht die Stunde der Vergeltung jetzt!
Wollt ihr im Bund mit diesen Räubern stehn,
So mögt ihr auch mit ihnen untergehn!
Doch wer mit dem Gesindel nichts zu schaffen
Und will sein Land in Ehren wiedersehn,
Der bahne sich den Weg zurück mit Waffen!
O stünden die zu einem mächt'gen Bunde,
Die noch nicht angefault vom Henkergeist!
Er richtet alle Welt und uns zugrunde.
O Deutschland, käme doch die große Stunde,
Wo du von diesem Unrat dich befreist!
Die Anklage
Ein Feldpostbrief
STALINGRAD 1942
Mein lieber Mann!
Ich schreib Dir unter Tränen.
Nie war mein Herz so weh vom langen Sehnen.
Mir träumte heute Nacht ein süßer Traum:
Wir saßen wieder unterm Weihnachtsbaum,
Und zärtlich küssten wir uns wie vor Jahren,
Als wir noch junge Liebesleute waren.
Dann holt ich unser Kind, es war noch klein;
Und wie verzaubert stand's im Kerzenschein.
Wie überglücklich strahlte unser Bube!
Und voll von warmem Licht war unsere Stube.
Am Fenster glitzerten kristallne Sterne,
Und leise Glocken klangen aus der Ferne.
Da wacht ich auf. Und alles kalt und leer,
Als hätte ich auf Erden niemand mehr.
Selbst deine Liebe mir verloren schien.
In meinem Jammer hab ich aufgeschrien.
Und plötzlich fragt ich mich in dieser Nacht:
Wer hat uns diese Einsamkeit gebracht?
Weshalb ertrug ich sie drei Jahre stumm?
Und lange grübelt ich an dem Warum.
Warum denn gingst Du wieder von mir fort?
Und in den Sinn kam mir Dein Abschiedswort.
Du sagtest: Folgt ich dem Befehle nicht,
So ständ ich morgen vor dem Kriegsgericht.
Und schicken sie uns in den Höllenrachen,
Was kann ich Einzelner dagegen machen?
Das sagtest Du mit so verzagtem Blick,
Als wär's ein unabwendbares Geschick.
Mein lieber Mann! Nun hab ich heute Nacht
Zum ersten Mal darüber nachgedacht.
Und eine Frage ließ mich nicht mehr ruhn:
Konntest Du wirklich nichts dagegen tun?
Gibts nicht Millionen, die den Krieg verdammen?
Was tut Ihr Euch Millionen nicht zusammen?
Ein jeder Einzelne hat Weib und Kind,
Millionen Einzelne sind gleichgesinnt.
Jawohl, der eine käm vors Kriegsgericht,
Doch mit Millionen wagen sie es nicht!
Darum frag ich Dich jetzt, mein lieber Mann,
In allem Ernst: Warum fingst Du nicht an?
Willst Du Dich weiter ins Geschick ergeben,
Bis sich die Mutigen zur Tat erheben,
Und Du läufst dann als Feigling hinterdrein,
Anstatt an ihrer Spitze mit zu sein?
Ich würde lügen, wenn ich anders schriebe.
Ich schreibe so an Dich, weil ich Dich liebe.
Mein Glück und Dein Glück, unseres Kindes Glück,
Es liegt in Deiner Hand bring es zurück,
Eh es zu spät ist, dass ich nicht am Schluss,
Statt Dich zu lieben, Dich verachten muss!
Kann ich als Deutscher mein Gesicht abwenden ?
MOSKAU 1943
Dieses Gedicht habe ich einem kriegsgefangenen deutschen Soldaten in sein Tagebuch geschrieben, der mir von unerhörten Gräueltaten an der russischen Bevölkerung erzählte, sein Gewissen aber damit zu beschwichtigen suchte, dass er sich selbst niemals zu solchen Untaten hätte missbrauchen lassen.
Ich weiß, es ist nicht unsres Volkes Wille,
Was hier geschieht an Mord und Niedertracht.
Doch schweigt das Volk zu den Verbrechen stille.
Trägt es der Mitschuld schimpflichen Verdacht.
Kann ich als Deutscher mein Gesicht abwenden
Von solcher Untat, die zum Himmel schreit,
Wie sie der Völker Recht und Ehre schänden
Und treiben ihr Geschäft mit Blut und Leid?
Kann ich als Deutscher abseits stehn und sagen:
Ich bin nicht schuld und auch nicht mitentehrt!
Nein, jeder Deutsche muss die Schande tragen,
Solang das Volk sich nicht empört und wehrt.
Solang das ganze Volk sich nicht verschworen
Und fegt sein Haus von diesem Unrat rein,
Solange wird das Land, das uns geboren,
Mit der Verachtung Fluch gezeichnet sein!
Mit spitzer Feder und bissigem Witz entlarvt Erich Weinert in Lametta, Hermann! Satiren gegen die Torheit die Absurditäten und Grausamkeiten des Nationalsozialismus ebenso wie die Schwächen der Weimarer Republik. Die folgende Leseprobe zeigt ihn als scharfzüngigen Satiriker, der mit Wortspielen, Karikaturen und Grotesken dem politischen Irrsinn den Spiegel vorhält manchmal so absurd, dass man darüber lachen müsste, wenn es nicht so erschreckend real gewesen wäre.
DIE WEIMARER REPUBLIK
(in verbogenen Zitaten Erich Weinerts)
Nachkriegswirtschaft
Eine Treuhand wäscht die andere
Mahnung an Kapitalflüchtlinge
Bleibe im Lande und aktionäre dich redlich!
Der arrivierte Hochstapler
Homo gannovus
Die frisierte Bilanz
Ich hab mein Sachwert auf nichts gestellt!
Der Arbeitgeber
führt ein Kamel am Halfterband
Das möblierte Zimmer
Es ist zum Leben hässlich eingerichtet
Geßlers Reichswehrausgaben
LEtat c est moi!
Artikel 48
Der Unsicherheitsschlüssel
Sondergerichte
Was dem einen Recht ist, wird dem andern nicht billig
Die Völkischen
Wo ein Wulle ist, da ist auch ein Weg
Hakenkreuzpennäler
Jeunesse diarrhoe
SA
Schnell fertig ist die Jugend mit dem Mord
Die Volksparteiler
Die Kleinkaliberalen
SPD
Bis hierher und so weiter!
Ein homo novus (lateinisch) ist ein neuer Mensch, hier als Emporkömmling zu verstehen. Ein Ganove (aus der Gaunersprache) ist ein Gauner. Was mag also homo gannovus bedeuten?
Otto Gessler, von 1920 bis 1928 Reichswehrminister der Weimarer Republik, bereitete mit seiner Armee einen neuen Krieg vor. Der Satz LEtat cest moi! wird dem allmächtigen Louis XIV., dem absoluten Herrscher Frankreichs im siebzehnten Jahrhundert, zugeschrieben: Der Staat bin ich!
Der berüchtigt gewordene Artikel 48 der Weimarer Verfassung gab dem Reichspräsidenten (und unter Umständen auch den Landesregierungen) das Recht, unter Außerkraftsetzung der wesentlichen bürgerlichen Grundrechte die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen zu treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einzuschreiten, wenn (nach Ansicht der herrschenden Gewalten!) im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet war. Die Arbeiter in allen Teilen unsres Vaterlandes, die Opfer der Notverordnungen von 1931/1932, mussten sehr bald erkennen, was der Artikel 48 bedeutet und wie jene Regierenden ohne Verfassung und ohne Rechtsgarantien eine deutsche Republik und das deutsche Volk in Grund und Boden zu regieren verstanden.
Reinhold Wulle, Deutschnationaler, der 1922 aus seiner Partei austrat und dann gemeinsam mit einem Herrn von Graefe die antisemitisch-reaktionäre Deutschvölkische Freiheitspartei gründete.
Unter jeunesse doree versteht man (nicht nur in Frankreich, woher der Ausdruck stammt) eine Jugend, die Jugend der Bourgeoisie, die es sich leisten kann, nichts zu arbeiten und genießerisch zu leben. Und was ist eine jeunesse diarrhoe? Eine der fantasievoll witzigen sprachlichen Neubildungen Erich Weinerts. Was sie bedeutet, braucht nicht erklärt zu werden.
LAMETTA
Ein Freund, der jetzt aus Peitschland ausgerissen ist, erzählte mir folgende Tragikomödie, die sich vor Weihnacht 1933 in seinem Bekanntenkreise in Berlin abgespielt habe (se non è vero, è ben trovato):
Der Bankbeamte Hermann Kniep, dem neuen Regime übrigens wohlgesinnt, ging mit seiner Frau über den Weihnachtsmarkt am Dönhoffplatz. Frau Kniep sagte, dass sie noch schnell einmal ins Warenhaus hinüber müsse, Kniep solle hier auf sie warten. Soll ich inzwischen Baumschmuck kaufen?, rief Kniep ihr nach. Ja, Lametta, Hermann!, schrie Frau Kniep zurück, ziemlich laut, da sie schon in größerer Entfernung war.
Ein SS-Mann vertrat ihr den Weg. Kommen Sie mit!
Erlauben Sie, ich bin eine anständige Frau!
Ein unanständiges Frauenzimmer sind Sie! Und der Schwarze packte sie am Arm und schob sie auf die nächste Polizeiwache.
Wen bringen Sie denn da?, feixte der Reviervorsteher.
Wegen öffentlicher schwerer Beleidigung des Herrn Ministerpräsidenten Göring!
Frau Kniep brachte vor Erregung nichts weiter hervor als: Ich? Ich? Der Reviervorsteher ersuchte sie höflich, die Schnauze zu halten, nahm das Zeugnis des SS-Mannes zu Protokoll, in dem nun stand, dass Frau Else Kniep geb. Gollmann den Herrn Ministerpräsidenten Göring in nicht wiederzugebender Weise öffentlich beschimpft habe. Frau Knieps immer unartikulierter werdende Proteste wurden durch die liebenswürdige Anfrage des Beamten zum Schweigen gebracht, ob sie eins in die Fresse haben wolle. Dann führte man sie ab.
Herr Kniep hatte einen Tag lang alle Polizeiwachen abgeklappert, ohne vom Schicksal seiner Frau etwas in Erfahrung zu bringen.
Am nächsten Morgen bekam er eine Vorladung als Zeuge vor das Schnellgericht, in Sachen Kniep, Else. Zitternd schob er hin.
Die Gerichtsverhandlung spielte sich kurz und sachlich folgendermaßen, wie mein Freund berichtet, ab:
Geben Sie zu, den Herrn Ministerpräsidenten Göring öffentlich beschimpft zu haben?
Aber ich habe doch überhaupt nichts gesagt!
Was haben Sie Ihrem Mann auf der Straße laut zugerufen?
Weiß ich nicht!
Der Zeuge Kniep wird hereingerufen.
Was hat Ihre Frau Ihnen zugerufen?
Frau Kniep springt auf: Jetzt weiß ich, was ich gerufen habe: Kerzenhalter, Hermann!
Haha! Wer soll denn mit Kerzenhalter-Hermann gemeint sein? Glauben Sie, wir wären so dumm?
Ja, was denn sonst?
Ich werde Sie in eine Ordnungsstrafe nehmen, verstehen Sie? Sie haben etwas ganz anderes gesagt. Aber hier muss ich erst die Öffentlichkeit ausschließen! Es geschieht. Sie haben gesagt: Lametta-Hermann!
Ja, das kann auch sein.
Also geben Sie das zu?
Der Zeuge Kniep: Ja, ich glaube, das hat sie gesagt!
Der Staatsanwalt beantragt vier Wochen; das Gericht verurteilt dementsprechend.
Herr und Frau Kniep gingen wie zermalmt heim. Mein Freund begleitete sie.
Wofür bist du denn nun verurteilt worden?, fragte der fassungslose Kniep. Für Kerzenhalter oder für Lametta?
Frau Kniep heulte laut auf der Straße auf: Für Lametta, Hermann!
In diesem Augenblick vertrat ihnen ein Individuum den Weg. Halt! Kommen Sie mit!
Mein Freund verdrückte sich unbemerkt. Er hat nie wieder etwas von Knieps gehört.
Orden, die er zumeist selbst sich verlieh, waren das Lieblingsspielzeug des fetten Lametta-Hermann, des gutmütig grinsenden Massenmörders Göring.
Se non è vero, è ben trovato: das ist ein italienischer Satz, den man oft beim Erzählen oder Anhören einer lebensnahen Anekdote verwendet: Wenn es nicht wahr ist, so ist es gut erfunden.
Mit bitterer Ironie und scharfem Dialog entlarvt Erich Weinert in Auftritt der Geister. Szenen gegen das Vergessen die ideologische Anpassung, Heuchelei und Feigheit der bürgerlichen Gesellschaft im Nationalsozialismus. Die folgende Szene zeigt eindrucksvoll, wie ein mutiger Schüler und seine Mutter auf ein System treffen, das Menschlichkeit durch Gehorsam ersetzt hat. Weinerts Text ist ein aufrüttelndes Plädoyer gegen das Vergessen und für die Standhaftigkeit des Einzelnen im Angesicht politischer Verblendung.
DER ERZIEHER
PERSONEN:
Frau Butz, Beamtenwitwe
Ferdinand, ihr Sohn
Kniebus, Gymnasialdirektor
Der Schuldiener
ORT:
Sprechzimmer des Direktors
SCHULDIENER
(führt Frau Butz und Sohn herein) Bitte nehmen Sie Platz! Herr Direktor kommt gleich. (Er geht wieder.)
FRAU BUTZ
Danke.
FERDINAND
(weist auf ein Riesenbild Hitlers über dem Schreibtisch) Guck mal da, Mama!
FRAU BUTZ
Ist doch jetzt Vorschrift, Junge!
FERDINAND
Aber Goethe ist weg. Da hing nämlich früher Goethe!
FRAU BUTZ
So. Mhm. Also, Ferdi, ich bitte dich, sei nicht wieder vorlaut! Denk immer daran: Der Mann hats jetzt auch schwer muss doch mit den Wölfen heulen!
FERDINAND
(grinst).
FRAU BUTZ
Ich denke, er wird ja auch unsere Lage verstehen wo wir doch früher
DIREKTOR KNIEBUS
(tritt ein, hebt die Hand zum Gruß) Heil!
FERDINAND
(steht auf, hebt die Hand ein wenig).
KNIEBUS
(setzt sich) Sie haben mich zu sprechen gewünscht, Frau Butz. Ich nehme an, es handelt sich (er blättert im Terminkalender), es handelt sich um den Sohn. (Er mustert Ferdinand.)
FRAU BUTZ
Ganz recht, Genosse Kniebus.
KNIEBUS
Wenn Sie sich dieser schlichten Anrede bedienen wollen, Frau Butz, dann bitte entwürdigen Sie sie nicht durch Unvollständigkeit! Es heißt: Volksgenosse!
FRAU BUTZ
Ich weiß schon, was Sie sagen wollen aber ich dachte, hier, wo wir unter uns sind
KNIEBUS
Was heißt unter uns?
FRAU BUTZ
Sie kennen mich wohl nicht mehr? Wir waren doch im sechzehnten Kreis in der SPD zusammen! Sie hatten doch immer die Kulturabende bei den Frauen geleitet. Mein Mann hat immer große Stücke auf Sie gehalten. Er ist ja im Juni gestorben. Hat immer gesagt: Das ist eine Säule der Republik, der Genosse Kniebus!
KNIEBUS
Gestatten Sie, dass ich Sie unterbreche, Frau Butz! Sie sprechen von einer nun Gott sei Dank ausgelöschten, entehrenden Vergangenheit.
FRAU BUTZ
Ich wollte Sie ja auch gar nicht in Verlegenheit bringen, Herr Direktor. Ich weiß ja, dass Sie Rücksicht auf Ihre Stellung
KNIEBUS
Ich darf wohl zur Sache kommen! Also Ihr Sohn läuft Gefahr, den Reifegrad nicht zu erwerben. Der junge Mann hat sich durch sein renitentes Wesen, die Prinzipien der Unterordnung und des Gehorsams noch nicht begriffen habend, die Sympathie seines Ordinarius verscherzt und ich glaube, dass jede mütterliche Intervention hier überflüssig ist, so gut sie gemeint sein mag.
FRAU BUTZ
(nach einer Pause) Es war ja auch nicht so, dass ich eine Protektion wollte. Ich dachte nur daran, wie sehr Sie sich damals in Ihren Vorträgen für Gerechtigkeit eingesetzt hatten. Ich dachte, um es ganz offen zu sagen, mit dem Genossen Kniebus kann man ja ein menschliches Wort reden.
KNIEBUS
Sie scheinen doch einer etwas deutlicheren Aufklärung zu bedürfen. Frau Butz. Ich habe in der Tat einmal die Mitgliedskarte dieser vaterlandsverräterischen Partei gehabt. Haben müssen. Sie haben es natürlich nie erfahren können, unter welchem Gesinnungsterror der Systemparteien, besonders der SPD, wir Kämpfer an der Kulturfront standen. Jahrelang habe ich gestöhnt unter der Heuchelei, zu der die schwarz-rot-gelben Unterrichtsministerien die leitenden Schulmänner zwangen. Und Sie können mir glauben, werte Frau mit einem Schrei der Erleichterung haben wir am dreißigsten Januar anno domini neunzehnhundertunddreiunddreißig dieses Joch von uns geworfen, da wir wussten: Nun endlich ist die Bahn den aufrechten Männern frei gemacht. In dieser Stunde bereits erwarb ich das Mitgliedsbuch der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Nun, hoffe ich, wissen Sie, mit wem Sie reden!
FRAU BUTZ
(verwirrt) Entschuldigen Sie vielmals, Herr Direktor!
KNIEBUS
Sehen Sie, wir Nationalsozialisten
FRAU BUTZ
Entschuldigen Sie. Ich möchte nicht länger stören ich wusste nicht
KNIEBUS
Nun wissen Sie also. Der Fall Ihres Sohnes Ferdinand liegt, nach dem Rapport seines Ordinarius, folgendermaßen: Der Schüler Butz erlaube sich des Öfteren, besonders bei Behandlung des Pflichtthemas Deutschlands Verfall und Aufstieg, 1918 bis 1933, ungehörige Fragen zu stellen und Einwürfe zu machen, die deutlich als Ausflüsse unvölkischer und zersetzender Ideologien erkennbar seien.
FRAU BUTZ
Ich habe nicht ganz verstanden. Was hat er gemacht?
FERDINAND
Erlauben Sie mir eine Bemerkung, Herr Direktor?
KNIEBUS
Bitte.
FERDINAND
Es ist anders. Herr Doktor Spannlang gibt mir seit längerer Zeit auf Fragen überhaupt keine Antwort mehr.
KNIEBUS
Es gibt Fragen, die keine Antwort verdienen.
FERDINAND
Ich weiß nicht. Darf ich Ihnen ein Beispiel anführen? Als er neulich ein Lebensbild von Karl Marx entwarf und diesen als einen perversen jüdischen Syphilitiker und stümperhaften Philosophaster bezeichnete und ich ganz bescheiden fragte, wie es dann aber zu erklären sei, dass selbst bürgerliche Kritiker, die ich gelesen hatte, ihn als einen der größten, wenn nicht den größten Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts hinstellten
KNIEBUS
Da hat er Ihnen keine Antwort gegeben, nicht wahr?
FERDINAND
Nicht nur das er hat mir drei Striche wegen flegelhaften Betragens eingetragen!
FRAU BUTZ
Hast du denn das so flegelhaft gesagt, Ferdi?
FERDINAND
Nein.
KNIEBUS
(steht auf) Seien Sie doch mal ganz ehrlich, junger Mann. Sie haben doch mit dieser Frage eine bestimmte Absicht verbunden, nämlich Ihren Ordinarius in den Augen Ihrer Mitschüler zu diskreditieren!
FERDINAND
Nein, Herr Direktor!
KNIEBUS
Unterbrechen Sie mich nicht. Und nicht nur Ihren Ordinarius, sondern auch die leuchtende Weltanschauung unseres Führers verächtlich zu machen? Wie?
FERDINAND
(steht auf) Nein, Herr Direktor!
FRAU BUTZ
Mit Absicht sicher nicht, Herr Direktor! Aber ich bitte Sie, bedenken Sie doch, wie der Junge erzogen worden ist!
KNIEBUS
Gar kein Milderungsgrund, gar kein Milderungsgrund! Ein Jüngling, der von der heiligen Welle der nationalen Revolution nicht höher getragen wird und mit der greisenhaften ratio an der Welt herumtüftelt, anstatt wie sich das gehört zu glauben, ein solcher Jüngling hat das Anrecht verwirkt nun, ich möchte nicht beleidigend werden.
FRAU BUTZ
Nun, Herr Direktor, dann wird wohl auch jede Anstrengung meines Sohnes vergeblich sein. Verzeihen Sie die Belästigung, Herr Direktor! (Sie steht auf.)
FERDINAND
Einen Augenblick, Mama! (Sein Gesicht ist gerötet.) Herr Direktor, wenn wir auch glauben und nicht mehr denken sollen darf ich Sie dennoch um eine Aufklärung bitten?
KNIEBUS
(unruhig am Fenster) Stehe zur Verfügung.
FERDINAND
Ich entsinne mich, dass Sie einmal bei einem Jungbannerabend die Festrede gehalten haben. Da stellten Sie die Prinzipien der Demokratie, des Humanismus und der Meinungsfreiheit als die unzerstörbaren Säulen der menschlichen Gesittung hin.
KNIEBUS
(gereizt) Na und?
FERDINAND
War das bei Ihnen damals Überzeugung, Herr Direktor?
KNIEBUS
Schon die Frage ist eine Unterstellung, junger Mann! Das war meine Überzeugung; aber Überzeugungen ändern sich mit den Erlebnissen. Wer gegen seine Überzeugung spricht, ist ehrlos!
FERDINAND
Das meine ich auch. Und deshalb werde ich meinem Ordinarius nie die Antwort geben, zu welcher er mich zwingen möchte, sondern nur die, welche ich für richtig halte!
KNIEBUS
Soso! Sprechen Sie übrigens auch mit Ihren Mitschülern in dieser Weise?
FERDINAND
Ja.
KNIEBUS
So. Dann wären Sie ja relegationsreif.
FRAU BUTZ
Herr Direktor, er spricht unüberlegt.
FERDINAND
(heftig) Nein, ich weiß, was ich spreche!
KNIEBUS
Soso! Sie machen also marxistische Propaganda in der Anstalt.
FERDINAND
Jawohl. Weil ich nicht so feige bin, meine Überzeugung für eine Karriere zu verkaufen!
FRAU BUTZ
(entsetzt) Ferdinand!
KNIEBUS
(geht zur Tür und öffnet) Ich darf wohl bitten!
FRAU BUTZ
(im Hinausgehen) Verzeihen Sie
FERDINAND
(geht mit stolzem Schritt hinaus, sehr laut) Mahlzeit!
KNIEBUS
(aufgeregt ihm nachrufend) Wissen Sie nicht, was sich gehört? Können Sie nicht Heil Hitler sagen?
FERDINAND
(von der Treppe heraufbrüllend) Nein!
KNIEBUS
(ruft in den Korridor nach dem Schuldiener) Dießel, kommen Sie mal rein!
SCHULDIENER
(kommt) Herr Direktor?
KNIEBUS
Notieren Sie mal: Schüler Butz, Ferdinand, Untersekunda III, darf das Gebäude der Anstalt nicht mehr betreten. Staatsfeindliche Betätigung.
SCHULDIENER
(schreibt) Staatsfeindliche Betätigung.
KNIEBUS
Sie informieren wohl Ihren Pg. Sturmführer.
SCHULDIENER
Den Jungen werden wir uns mal angucken!
Mit eindringlicher Bildkraft schildert Friedrich Wolf in Saat in der Ukraine seine Eindrücke vom Frühjahr 1943 an der Ostfront. Die Natur erwacht doch was sich dem Blick bietet, ist kein Neubeginn, sondern das erschütternde Erbe eines verbrecherischen Krieges. Diese Leseprobe ist ein literarisches Mahnmal gegen das Vergessen, ein stiller Aufschrei über das namenlose Sterben deutscher Soldaten auf ukrainischem Boden und eine Anklage gegen jene, die diese tödliche Saat in die Welt getragen haben.
Mitte März musste ich von der Front zu einem weit rückwärts gelegenen Flugplatz fahren, um von dort nach Moskau zu fliegen. In der Ukraine hatte der Frühling bereits begonnen. Der Schnee lag nur noch dünn, überall schaute bereits die fette, schwarze Erde hervor, über das Land brausten wilde Bäche, die vielfach die Wege überschwemmten. Ein feiner, hellgrüner Hauch lag über den Gebüschen an den Dorfrändern, in lichtem Blau strahlte der warme Himmel. Zugvögel strichen über das Land. Überall regte sich das Leben. Auch die im Winter so einsame, tote Erde begann sich zu beleben.
Da ragte der Arm eines toten Soldaten hervor mit dem Winkel eines Gefreiten der Hitlerarmee, dort Füße mit deutschen Schnürschuhen, als habe der Soldat einen Kopfsprung in die Erde gemacht, reihenweise trieben deutsche Soldaten mit dem Rücken nach oben in den zu Bächen angeschwollenen Grabenrinnen längs unseres Weges, gruppenweise staken deutsche Kanoniere in zerschossenen Geschützstellungen und versanken mitsamt den Kanonen und Kartuschhaufen langsam in dem völlig aufgeweichten Boden. Schrecklich war der Anblick, wo auf den grünenden Feldern riesige Raben- und Krähenschwärme flatterten und sich stritten. Sie brauchten in diesem Frühling nicht nach kleinen Feldmäusen zu jagen. Die Beute war reicher. Die Felder waren an vielen Stellen buchstäblich besät mit Leichen deutscher Soldaten in den weißen Tarnjacken mit schwarzen Schnürschuhen der Hitlerarmee. Schon konnte man beobachten, wie die Uniformen ganz flach am Boden hafteten, als sei kein Fleisch mehr darunter; schon sah man zu Hunderten die nackten Schädel ohne Augen und Wangen eine ganze Saat von Totenschädeln ehemaliger deutscher Soldaten lag ausgesät, über der riesigen ukrainischen Ebene. Die russische Erde nahm mühelos und wortlos diese Saat, die Hitler gesät hat, in sich auf.
Passend zum heutigen Newsletter soll hier kurz an das Nationalkomitee Freies Deutschland erinnert werden, das am 12. und 13. Juli 1943 in Krasnogorsk bei Moskau gegründet wurde. Ziel war es nach Internet-Informationen des Deutschen Historischen Museums (DHM) und seines LeMO-Projekts (Lebendiges Museum Online) und von Wikipedia, den Widerstand von Deutschen gegen das NS-Regime zu fördern. Präsident wurde der Schriftsteller Erich Weinert (1890 bis 1953), Organ des NKFD war die Wochenzeitung Freies Deutschland. Ihre erste Ausgabe vom 19. Juli 1943 veröffentlichte das von dem Journalisten Rudolf Herrnstadt (1903 bis 1966) und dem Schriftsteller Alfred Kurella (1895 bis 1975) entworfene Manifest an die Wehrmacht und das deutsche Volk, das die wesentlichen Ziele des NKFD formulierte: Zerschlagung des NS-Regimes, sofortiger Friedensschluss, ein freies unabhängiges Deutschland.
Dem NKFD gehörten kommunistische Funktionäre und Intellektuelle im sowjetischen Exil sowie Wehrmachtssoldaten an. Unter der maßgeblichen Führung der deutschen Exilkommunisten Weinert, Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht forderte das NKFD über den Radiosender Freies Deutschland die Bevölkerung im Deutschen Reich zum Staatsstreich gegen Hitler auf. An der Front konzentrierte sich die Tätigkeit des NKFD ebenfalls auf allerdings nach einigen heutigen Darstellungen weitgehend wirkungslose - propagandistische Maßnahmen: Mit Lautsprecherdurchsagen und Abwurfflugblättern rief es die Wehrmachtssoldaten zur Einstellung der Kämpfe und zum Überlaufen auf die sowjetische Seite auf. Die Zeitung Freies Deutschland und die Mehrzahl der abgeworfenen Flugblätter waren eingerahmt in den nationaldeutschen Farben Schwarz-Weiß-Rot, um alle Deutschen unabhängig ihrer politischen Überzeugung anzusprechen. Das NKFD war jedoch eine Organisation mit unverkennbar kommunistischer Ausrichtung: Gefangene oder übergelaufene Soldaten mit Interesse an der Mitarbeit im NKFD nahmen in Lagern an kommunistischen Umschulungen teil.
Manche deutschen Kriegsgefangenen waren mit der kommunistischen Ideologie seit den zwanziger oder dreißiger Jahren vertraut und traten dem NKFD aus Überzeugung bei. Der Großteil ihrer zum Übertritt bereiten Kameraden hingegen sah nur in einer Mitgliedschaft im NKFD die Möglichkeit, der Härte der sowjetischen Kriegsgefangenschaft zu entgehen. Viele von ihnen entwickelten sich während ihrer Tätigkeit in dem bis November 1945 existierenden NKFD zumindest nach außen zu überzeugten Anhängern des sowjetischen Systems. Einige hochrangige Offiziere in Kriegsgefangenschaft wollten zwar ebenfalls gegen das NS-Regime agieren, eine Mitarbeit im NKFD lehnten sie aber aus ideologischen Gründen ab.
Rund 100 Offiziere gründeten daher am 11. und 12. September 1943 im Lager Lunjowo in der Nähe von Moskau den Bund Deutscher Offiziere (BDO), der jedoch nur wenig später mit dem NKFD personell und institutionell verschmolzen wurde. BDO-Mitglieder wie General der Artillerie Walther von Seydlitz-Kurzbach (1888 bis 1976), der Präsident des BDO, oder der in Stalingrad gefangen genommene und 1944 dem BDO beigetretene Generalfeldmarschall Friedrich Paulus waren für Adolf Hitler, für treue Angehörige der Wehrmacht sowie für die meisten Deutschen Verräter.
Nach dem Ende des Krieges lösten sich sowohl das NKFD als auch der BDO am 2. November 1945 in Moskau auf. Die meisten Emigranten kehrten nach Deutschland zurück, die kriegsgefangenen Mitglieder wurden wieder in reguläre Kriegsgefangenenlager überstellt. Vereinzelt kehrten sie in den folgenden Jahren heim, im September 1948 fünf Generäle und 100 Offiziere: Sie gingen in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands, wo sie die Kasernierte Volkspolizei aufbauten, den Vorläufer der Nationalen Volksarmee der DDR. Ein weiterer Teil kehrte 1950 heim, die letzten wurden 1955 entlassen.
Soweit zu diesen historischen Hintergründen, die heute je nach politischem Standpunkt durchaus unterschiedlich bewertet werden.
So heißt es in einem Beitrag der marxistisch-leninistischen Zeitung der Arbeit aus Österreich zum 80. Gründungstag des NKFD im Juli 2023 unter anderem:
Die Schaffung des NKFD verwirklichte die Beschlüsse des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (Komintern), der Brüsseler (1935) und der Berner Konferenz der KPD (1939). Die Gründung erfolgte auf Initiative des Zentralkomitees der KPD durch kriegsgefangene deutsche Soldaten und Offiziere, antifaschistisch eingestellte Arbeiter, Bauern und Intellektuelle gemeinsam mit früheren Reichstagsabgeordneten der KPD, Gewerkschaftsfunktionären, Sozialdemokraten, fortschrittlichen Künstlern und Christen beider Konfessionen.
Der Gründungskongress beschloss das Manifest des NKFD an die Wehrmacht und an das deutsche Volk. Darin wurde die Aufgabe gestellt, durch eine breite antifaschistische, um die Arbeiterklasse und ihre marxistisch-leninistische Partei gescharte Volksbewegung, die fest an der Seite der UdSSR und ihrer Bündnispartner steht, zum Sturz der Hitlerdiktatur, zur Beendigung des Krieges und für den Beginn des Aufbaus eines neuen, freien Deutschlands beizutragen.
Die Gründung des NKFD war ein Ereignis von politischer und historischer Bedeutung. Es wurden neue Kräfte in den antifaschistischen Widerstandskampf einbezogen. Die Tätigkeit des NKFD war ein vorwiegend politisch-ideologischer, mit pädagogischen und psychologischen, teilweise auch mit militärischen Mitteln geführter systematischer Kampf, insbesondere an der deutsch-sowjetischen Front, in Kriegsgefangenenlagern und Antifa-Schulen gegen die faschistische Armee, um die deutschen Soldaten und Offiziere für den antifaschistischen Kampf zu gewinnen und zu mobilisieren. Dazu wurden u.a. das Presseorgan und der Sender des NKFD Freies Deutschland eingesetzt.
Die erfolgreiche Bilanz des NKFD war begründet in der vom proletarischen Internationalismus bestimmten allseitigen Unterstützung und im Vertrauen des Sowjetvolkes sowie der Antifaschisten in aller Welt für die antifaschistischen Kräfte des deutschen Volkes. Nach Erfüllung der Aufgaben beschloss das NKFD am 2. November 1945 seine Selbstauflösung.
Zum selben Anlass ist auf der Internetseite des Mitteldeutschen Rundfunks (mdr) unter der Überschrift NKFD und BDO - Soldaten gegen Hitler Widerstand aus sowjetischer Gefangenschaft unter anderem zu erfahren:
Mit dem Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) und dem Bund Deutscher Offiziere (BDO) entstehen 1943 in der Sowjetunion Organisationen, in denen deutsche Kriegsgefangene in den Kampf gegen Adolf Hitler einbezogen werden. Bei Stalingrad gefangengenommene Offiziere und Generale spielen dabei eine wichtige Rolle. Ihr Ziel ist die Beseitigung Hitlers und die Rettung Deutschlands.
Am späten Nachmittag des 13. Juli 1943 unterzeichnen in Krasnogorsk bei Moskau 21 deutsche Kriegsgefangene und zwölf Kommunisten das Gründungsmanifest des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD). In dem an das deutsche Volk und die Wehrmacht gerichteten Papier wird dazu aufgerufen, "Deutschland von Hitler zu befreien" und die deutsche Nation zu retten. Der Text stammt von zwei Kommunisten: dem Journalisten Rudolf Herrnstadt und dem Schriftsteller Alfred Kurella. Die Gründung des NKFD erfolgt jedoch auf direkten Beschluss der sowjetischen Führung unter Josef Stalin, wobei deutsche Exil-Kommunisten wie die früheren KPD-Reichstagsabgeordneten Wilhelm Pieck (Berlin) und Walter Ulbricht (Leipzig) maßgeblich eingebunden sind.
Patriotisch und deutschnational
Die ursprüngliche Idee für die Gründung eines deutschen Anti-Hitler-Komitees unter Beteiligung von Kriegsgefangenen stammt aus der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee. Für sie wiederum ist eine Stalin-Aussage vom Februar 1942 das Initial, der zufolge die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt. Mit den patriotischen Leitsätzen des NKFD-Gründungsmanifests und den für die Organisation gewählten Farben des Kaiserreichs Schwarz-Weiß-Rot sollen deutschnationale Offiziere und Generale angesprochen werden. Nach dem Untergang der 6. Armee in der Schlacht um Stalingrad herrscht bei vielen der dort gefangengenommenen Wehrmachtangehörigen eine Anti-Hitler-Stimmung.
Aufgrund ihrer traumatischen Erlebnisse haben die Stalingrad-Überlebenden eine klare Vorstellung von der drohenden deutschen Katastrophe, wie es der aus der ostthüringischen Garnisonstadt Altenburg stammende frühere Kommandeur des an der Wolga vernichteten I. Bataillons/Infanterieregiment 29, Major Bernhard Bechler, später beschreibt: Wenn der Krieg weitergeht, dann droht Deutschland das Schicksal eines riesigen Stalingrads, ein hoffnungsloser Kampf bis zur vollständigen Vernichtung. Also muss der Krieg beendet werden. Und beenden kann ihn nur Hitler und der wird ihn nicht beenden. Also muss das erste Ziel die Beseitigung Hitlers sein.
Tatsächlich sind sieben der zwölf an der Gründung des NKFD beteiligten Offiziere in oder bei Stalingrad in Gefangenschaft geraten. Einer von ihnen ist der 21-jährige Leutnant Heinrich Graf von Einsiedel. Der hochdekorierte Jagdflieger (46 Luftsiege) wird Ende August bei Stalingrad abgeschossen. Am 13. Juli 1943 wird er zu einem der Vize-Präsidenten des NKFD gewählt. Als Urenkel des Reichsgründers Otto von Bismarck ist Einsiedel das perfekte Aushängeschild für den deutschnationalen und patriotischen Anspruch des NKFD. Nationale Motive sind für ihn entscheidend, wie er später in einem Interview betont: Wie wir im Manifest gesagt haben: Wenn wir Hitler nicht stürzen, wird das der Verlust der Souveränität und die Zerstückelung Deutschlands sein. Das waren rein vaterländische, nationale Gedanken. Wir wollten das Deutsche Reich retten, das Bismarck-Reich.
Dennoch bleibt die Gründung des NKFD aus Sicht der sowjetischen Führung und der deutschen Kommunisten nur ein halber Erfolg. Der erhoffte größere Zuspruch seitens der bei Stalingrad gefangenen Offiziere und Generale bleibt zunächst aus. Sie lehnen ein Zusammengehen mit Deserteuren im NKFD wie dem aus Chemnitz stammenden Soldaten Heinz Keßler (später DDR-Verteidigungsminister) und anderen Mannschaftsdienstgraden mit unsoldatischem Verhalten ab. Erst nachdem einer Generalsgruppe um den ehemaligen Kommandierenden General des LI. Armeekorps der 6. Armee, General der Artillerie Walther von Seydlitz-Kurzbach, zugesagt wird, die Sowjetunion wolle sich für ein Deutsches Reich in den Grenzen von 1937 einsetzen, wenn es gelänge, die Wehrmachtführung zu einer Aktion gegen Hitler zu bewegen, ist eine größere Zahl höherer Offiziere und Generale zur Mitarbeit bereit.
Vor diesem Hintergrund wäre es sicherlich spannend, einmal nachzufragen, ob und welche Informationen die Akteure des geplanten Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 über die Gründung und das Wirken des NKFD hatten. Immerhin gibt es umgekehrt einen Hinweis auf die Reaktion des NKFD zum 20. Juli 1944. Dessen Wochenzeitung Freies Deutschland brachte am 30. Juli 1944 auf der Titelseite mehrere Beiträge unter der Überschrift Schlag auf Schlag gegen Hitler. Bereits am 21. Juli 1944 gab es ein Abwurfflugblatt unter dem Titel Deutsches Volk! Deutsche Wehrmacht! Die Würfel sind gefallen.
Umgekehrt ist eine späte Annäherung des Stauffenberg-Kreises an das Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) historisch nur schwer nachweisbar. Immerhin gibt es eine kleine Spur. Sie führt zu Generalmajor Fritz Lindemann (1894 bis 1944). Es scheint offenbar doch zumindest Kontaktversuche nach Moskau gegeben zu haben.
Aufschlussreiche Informationen dazu finden sich unter dem Internet-Link:
https://www.globkult.de/geschichte/personen/436-ein-signal-an-seydlitz-ueber-madame-kollontai
Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Für den nächsten Bücherversand ist wieder einmal ein kleiner Hubschrauber zum Verlagsgelände in Godern bestellt. Hoffen wir auf gutes Sommerflugwetter
Der neue Newsletter präsentiert ein weiteres Buch von Erich Weinert. Erstmals 1951 erschien im Verlag Volk und Welt Berlin Memento Stalingrad. Stalingrader Frontnotizbuch. Dazu schrieb der Autor in einer längeren Vorbemerkung unter anderem:
Den Inhalt dieses Buches hatte ich in seiner Gänze niemals zu veröffentlichen gedacht. Es sind Notizen, die ich während meines Aufenthaltes an der Front vor Stalingrad in der Zeit von der Einschließung bis zur Liquidierung der 6. Hitlerarmee gemacht hatte, unbearbeitete Niederschriften, die als Rohmaterial für eine spätere literarische Verarbeitung dienen sollten. Auszüge aus diesem Notizbuch veröffentlichte die Zeitschrift Internationale Literatur in Moskau im Frühjahr 1943. An eine weitere Verwendung des Materials dachte ich seinerzeit und auch später nicht mehr.
Nun haben manchmal nicht nur Bücher, sondern auch Notizbücher ihre Schicksale. Die Notizbuchauszüge in der Internationalen Literatur wurden in allen Ländern, wohin diese Zeitschrift während des Krieges gelangte, mit großem Interesse aufgenommen und in vielen Zeitschriften nachgedruckt, vor allem in Amerika und England. Das Interesse ging so weit, dass einige Organisationen und Verleger diesen Notizbuchauszug, der zwei bis drei Druckbogen Umfang hatte, als Büchlein herausgaben. Neben einer französischen und einer englischen Ausgabe erschien auch eine in New York, in deutscher Sprache, herausgegeben von der Organisation The German American 1943 unter dem etwas anspruchsvollen und irreführenden Titel Erziehung vor Stalingrad.
Dem Büchlein ist ein ziemlich ausführliches Vorwort beigegeben, dessen Schlussabsatz hier zu zitieren ich für nützlich halte, weil die Warnung, die er enthält, 1951 leider schon wieder so gültig ist, wie sie 1939 war