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Gegen das Vergessen: Einladung zu vier Texten des Arbeiterschriftstellers Adam Scharrer - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 30.05.2025) – Mit diesem Newsletter präsentiert EDITION digital gleich vier Texte von Adam Scharrer (1889 bis 1948), der als einer der ersten Arbeiterschriftsteller gilt und sehr authentisch das Leben, die Not und die Kämpfe der kleinen Leute beschrieben hat – hart und authentisch, mutig und immer auch mit der Hoffnung auf Gerechtigkeit und bessere Zeiten. Deutlich autobiografische Züge trägt das vierte der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die sieben Tage lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 30.05. 2025 bis Freitag, 06.06. 2025) zu haben sind. 1946 erschien im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar sein Erlebnisroman eines Arbeiters „In jungen Jahren“ – ein literarisches Zeugnis vom Aufwachsen in einer ungerechten Welt. In diesem Buch erzählt Scharrer die bewegende Geschichte des Bauernsohnes Heinrich, der im späten 19. Jahrhundert in eine von Armut, Arbeit und harter Entbehrung geprägte Welt hineingeboren wird. Schon als Kind begegnet er Hunger, Gewalt und Ausgrenzung, aber auch Wärme, Solidarität und dem leisen Wunsch nach Gerechtigkeit.

Mit wachem Blick, feinem Humor und großer sprachlicher Kraft zeichnet der Autor das Porträt einer Kindheit und Jugend im Schatten der gesellschaftlichen Umbrüche - von den engen Zwängen des Dorflebens über die harten Jahre als Wanderarbeiter bis zur politisch bewussten Auseinandersetzung mit einer ungerechten Ordnung.

Scharrers autobiografisch geprägter Roman ist mehr als eine Milieuschilderung: Es ist ein literarisches Erinnerungswerk über Herkunft und Hoffnung, über die Kraft des Widerstands und das Ringen einer Generation um Würde und Zukunft. „In jungen Jahren“ ist ein authentischer Bildungsroman der Arbeiterklasse - rau, poetisch, tief empfunden und heute so aktuell wie damals.

Eine Geschichte über Liebe, Verlust und die Kraft, trotz allem weiterzugehen. So lässt sich die 1979 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar veröffentlichte Erzählung eines Arbeiters „Weintrauben“ beschreiben. Adam Scharrer erzählt eindringlich vom Leben in den 1920er Jahren, von der Zerrissenheit zwischen politischem Engagement und familiärer Verantwortung, von Armut, Klassenkampf und einem unerbittlichen Schicksalsschlag, der alles verändert. „Weintrauben“ ist mehr als ein persönlicher Rückblick Es ist ein erschütterndes Zeugnis proletarischer Lebensrealität, das auch heute noch durch seine Authentizität, Klarheit und emotionale Tiefe bewegt.

„Ein deutscher Bauernroman“ – so lautet der Untertitel des Romans „Maulwürfe“ von Adam Scharrer, der erstmals 1934 bei Malik in Prag erschienen war. Dem E-Book liegt die Ausgabe von 1950 der Bibliothek fortschrittlicher deutscher Schriftsteller zugrunde. Mit rauer Ehrlichkeit und eindringlichen Bildern erzählt Adam Scharrer die Geschichte des Jungen Georg Brendl - aufgewachsen am Rand der Gesellschaft in einem fränkischen Dorf vor dem Ersten Weltkrieg. Zwischen Lehmhütten, Matschwegen und endloser Schinderei erlebt Georg Gewalt, Armut und Ausgrenzung - aber auch die ersten zarten Gefühle von Freundschaft, Sehnsucht und Aufbegehren. „Maulwürfe“ ist kein nostalgischer Rückblick, sondern ein Aufschrei: gegen die erbarmungslose Härte des Lebens, gegen Ungerechtigkeit und soziale Kälte. Vom Überlebenskampf in der Kindheit über die raue Zeit als Knecht bis hin zur Rückkehr aus dem Krieg und dem verzweifelten Ringen um ein neues Leben. Scharrers Roman ist ein ungeschöntes, zutiefst menschliches Panorama einer untergehenden dörflichen Welt.

Mit psychologischer Tiefe, politischer Klarheit und erschütternder Ehrlichkeit entwirft Scharrer ein literarisches Mahnmal gegen das Vergessen - und für die Menschlichkeit in unmenschlichen Zeiten. Das ist die kurze Zusammenfassung des erstmals 1979 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar veröffentlichten Buches „Der Mann mit der Kugel im Rücken. Fragment eines Romans“ von Adam Scharrer: Im Lazarett liegt ein Soldat - stumm, reglos, getroffen von einer Kugel, die nicht nur seinen Rücken, sondern sein ganzes Leben zeichnet. In eindringlichen Episoden erzählt Adam Scharrer die Geschichte eines Mannes, der das Töten verweigert - und dafür mit dem Schweigen der Gesellschaft bestraft wird. Zwischen den Fronten von Körper und Geist, Schmerz und Erinnerung, Krieg und Gewissen entsteht das Fragment eines Romans, das weit mehr ist als die Summe seiner Teile: ein radikales Zeugnis über Verletzung, Entfremdung und die Suche nach Würde.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Schauen wir gemeinsam mit Friedrich Wolf kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Frankreich, genauer gesagt in die französische Küstenstadt Toulon …

1942 schrieb der Schriftsteller und Exilant die Erzählung „Das Wort von Toulon“: Toulon - Ein Ort voller Widersprüche und ein Symbol des Widerstands. August 1939, als die Sonne über den Olivenhainen der Alpes Maritimes strahlt, ahnt niemand, wie dramatisch sich das Schicksal der französischen Küstenstadt wenden wird. Inmitten einer unruhigen Welt blickt der Erzähler auf die französische Flotte und die Menschen, die ihre Heimat verteidigen. Doch zwei Jahre später ist alles anders. Unter der ständigen Bedrohung der deutschen Besatzung stehen die Menschen in Toulon vor Entscheidungen, die ihr Leben für immer verändern werden. Toulon erzählt von Mut, Widerstand und der unbändigen Hoffnung auf Freiheit - ein bewegendes Zeugnis der Geschichte, das heute aktueller ist denn je.

Und so beginnt diese Erzählung:

Toulon

Toulon – heute, da die Welt widerhallt von dem Donner der Geschütze und der Explosionen der heldenhaften französischen Flotte, die lieber sich selbst versenkte, als dass sie sich den Hitlerbanden ergab, in diesem Toulon saß ich im August 1939 am „Quai de Cronstadt“ in einem kleinen Café und schaute über die dort ankernde Flotte nach den Werften und Arsenalen von La Seine und den Küstenforts bei Sanary, Bandoles, nach Hyère und den mit Oliven und Wein bepflanzten Hängen der Alpes maritimes. Damals sprachen meine französischen Freunde oft mit den Matrosen und Deckoffizieren der schon alarmbereiten Kreuzer und Schlachtschiffe. Während viele drinnen in Frankreich noch nicht an den nahen Krieg glaubten, waren die Matrosen nach den riesigen italienischen Flottenmanövern bei Sardinien bereits überzeugt, dass Mussolini auch Italien in den Krieg führen werde. Die französischen Matrosen wussten schon damals genau, worum es ging – nicht bloß um Nizza, Korsika und die Haute Savoie. Ich erinnere mich genau, wie sie sagten: „Toulon ist ein uneinnehmbarer Kriegshafen; aber man darf nicht vom Lande her und nicht von der Luft kommen! Sonst ist Toulon eine Mausefalle! Wenn unsere Flotte ausläuft und sich zum mindesten unter dem Schutz der weittragenden Küstengeschütze vor der Isle d’Hyère schlägt, dann ist alles gut!“

In der folgenden Passage aus „In jungen Jahren“ erinnert sich der Erzähler an einen besonders harten Winter seiner Kindheit, als Armut und Hunger den Alltag bestimmten. Doch inmitten der Not zeigt sich, wie Mitmenschlichkeit, stille Fürsorge und kleine Zeichen von Zuneigung das Leben auf wundersame Weise erleichtern können. Eine berührende Szene über Solidarität, Scham, Hoffnung – und darüber, wie das Gute manchmal auf ganz leisen Sohlen kommt.

Zum Glück ließ der Frost nun ein wenig nach, und Vater bat den Lehrer darum, dass wir während des Schulunterrichts Schuhe aus Flicken anziehen durften, die uns die Mutter genäht hatte. Da bei diesem Gespräch des Vaters mit dem Lehrer auch der junge Vikar zugegen war, kam auch ein Gespräch zwischen diesem und Vater über einige andere Dinge zustande mit dem Erfolg, dass der Vikar sich an einige wohlhabende Bauern mit der Bitte wandte, den von auswärts kommenden Schülern während der Schulpause eine warme Mahlzeit abzulassen, und da wir nur circa ein halbes Dutzend waren, konnten wir untergebracht werden. Ich wurde Rapphuber, dem Wirt „Zum kühlen Grund“ in Erlendorf, zugeteilt und hatte es besonders gut getroffen. Meta, die Tochter, fütterte mich so gut, dass ich manchen Wecken und manches Stück Wurst heimlich von meinem Teller in meine Tasche verschwinden lassen konnte, und als sie mich eines Tages heimlich durch das Küchenfenster beobachtete und mich zur Rede stellte, machte ich mich schon darauf gefasst, nun meine Pension zu verlieren, die ich den Winter über gesichert glaubte, und sagte: „Ich wollt halt für die Unseren daheim auch ein Stückl aufheben, und ob ich es hier selber esse oder mitnehme, ist doch eigentlich gleich.“ Aber gerade diese Antwort imponierte dieser Wirtstochter, und nach einigen weiteren Fragen und Antworten sagte sie: „Es ist aber nicht gut, wenn man so etwas heimlich verschwinden lässt, das kann leicht falsch verstanden werden.“ Dann gab sie mir Einwickelpapier und legte zu dem Stück Wurst, das ich aus meiner Portion Sauerkraut herausgefischt und uneingewickelt in die Tasche gesteckt hatte, noch ein weiteres, recht ansehnliches Stück hinzu und einen großen Wecken, und sagte: „Das kann mir eigentlich gefallen von dir, dass du auch an deine anderen Geschwister denkst.“ Von diesem Tage an legte sie fast regelmäßig etwas für mich bereit. Im Gasthaus „Zum kühlen Grund“ wurden in der Regel allein zum Verkauf an Gäste wöchentlich drei Schweine und ein Stück Rindvieh geschlachtet, und die Suppe und die Klöße und das Sauerkraut waren so fett und die Portionen so reichlich, dass ich mich bald auf die mir hier gereichte Mahlzeit beschränkte, weil die Wassersuppen und die abgerahmte Milch und das trockene Brot, das mich zu Hause erwartete, mir nicht mehr schmeckten.

Vater und Mutter wunderten sich wohl, dass ich gar so freigebig bedient wurde, der wirkliche Grund kam jedoch bald ans Tageslicht. Meta war von dem jungen Vikar gebeten worden, mich bei ihren Eltern unterzubringen, und sie hatte ein großes Interesse daran, dem jungen Vikar gefällig zu sein. Es stellte sich bald heraus, dass der Vikar und diese Meta nicht nur meine Versorgung im Auge hatten. Ich machte mir darüber wenig Gedanken oder nur in der Richtung, dass Gottes Wege eben doch recht wunderbar seien, denn zu der fetten Kost ergatterte ich dann noch ein Paar Stiefel. Das Anziehen meiner mir zu engen Stiefel war nämlich eine Qual, deswegen lief ich zu Mittag stets in meinen Flickenschuhen zum Essen. Die Frage, warum ich also in diesen Flickenschuhen kam, lag auf der Hand für einen Menschen, der einen Anlass suchte, und Meta schien auf einen solchen Anlass gewartet zu haben, denn nach der entsprechenden Antwort hatte sie diese Stiefel sofort griffbereit. Langschäfter, bis über die Knie gingen sie mir, und es war auf den ersten Blick zu sehen, dass sie der Schuster eben erst instand gesetzt hatte. Neue Hauben waren angesetzt und der eine hatte auch seitlich einen derben Flicken bekommen. Der Sohn des Gasthauses „Zum kühlen Grund“, der die Schule bereits verlassen hatte, mochte wohl, während diese Stiefel in der Rumpelkammer gelegen hatten, zwei Paar neue verbraucht haben, ich aber war nur von dem einen Gedanken beherrscht, ob mir diese abgegebenen Stiefel passen würden. Und sie passten! Auch ein Paar Filzsohlen, die Meta mir noch gab, konnte ich gut darin unterbringen. Der Fuß saß warm und bequem, und als mir Meta dann auch noch eine warme Joppe verehrte, eine richtige Jägerjoppe mit zwei schrägen Außentaschen, zwei Innentaschen, Hirschhornknöpfen und zum Glück mit zu langen Ärmeln, so dass durch das Abschneiden dieser Ärmel die schadhaften Stellen am Ende überflüssig wurden und mit den Stoffresten die durchgestoßenen Ellbogen ausgebessert werden konnten, da zweifelte ich nicht mehr daran, dass der liebe Gott mein Gebet bereits erhört und diese Hilfe nur als eine provisorische gedacht sei und die große Bescherung zu Weihnachten durch das Christkind ganz außer Zweifel stünde.

Auszug aus „Weintrauben“: Inmitten politischer Umbrüche und unter den Augen der französischen Besatzung kämpfen organisierte Arbeiter im Geheimen um ihre Ideale. Misstrauen, Verfolgung und ständige Gefahr prägen ihren Alltag – doch der Glaube an Gerechtigkeit und Solidarität lässt sie nicht ruhen. Gerade als ein Genosse seine Rückkehr nach Berlin vorbereitet und auf ein Stück Normalität hofft, ereilt ihn eine Nachricht, die alles verändert …

Ins besetzte Gebiet zu kommen war nicht schwer. Doch hatte der französische Militarismus seine Taktik gegen früher schon geändert. Im Anfang versuchte er es mit „Arbeiterfreundlichkeit“. Er ließ die revolutionären Arbeiterorganisationen möglichst ungeschoren und unterstützte sogar jede Schwierigkeit, die das Proletariat des besetzten Gebietes den deutschen Machthabern durch Forderungen bereitete. Diese Tatsachen hatten schon große Teile der Arbeiterschaft verwirrt. Sie liefen zu den Separatisten über. Auch in den Arbeiterorganisationen kam es zu Auseinandersetzungen. Die Franzosen arbeiteten mit allen Mitteln der Bestechung und des Justizterrors. So waren die Genossen oft unter sich nicht mehr vor Denunziationen sicher, denn auch die Spitzel in den eigenen Reihen waren vorsichtig. Die einzige Methode, die Spitzel auszusondern, bestand neben der Beobachtung in der prinzipiellen Zerlegung der Gedankengänge, die gekaufte Elemente in die Organisation tragen wollten, bekleidet mit einem Mantel revolutionär sein sollender Phraseologie. So kamen die Genossen, die unbedingt Vertrauen zueinander hatten, im Geheimen zusammen und beschlossen, eine prinzipielle reinliche Scheidung vorzunehmen. Der Aufenthalt illegaler Genossen wurde nie genannt und stets gewechselt. Zu Versammlungen wurde erst kurz vor Beginn eingeladen. Die Erfahrungen der Berliner Arbeiter in illegalen Zeiten wurden mit Erfolg zunutze gemacht, und es währte nicht lange, dann war in der einen, der zweiten, der dritten Stadt die Spreu vom Weizen gesondert. Sobald der Feind aus den eigenen Reihen verbannt war, ging es wieder zum Angriff über. Mit Flugblättern, Zeitungen, mündlich. Doch ward die Anwesenheit fremder „Aufwiegler“ rasch bemerkt, und die Hunde waren auf deren Fersen. Doch über die Mittel und Wege, wie sie genasführt wurden – in diesem Fall rächten sie sich durch wahllose Verhaftungen –, soll hier nicht die Rede sein, aus ganz natürlichen Gründen. Die Tätigkeit war mit Erfolg beinahe vollendet. Noch eine letzte Instruktion im letzten Ort.

Bei allem Flüchtlingsleben hat Papa wohl an die Weintrauben, an den Wein, an den Kaffee, an die Schokolade gedacht – und Glück gehabt. Bis zur Abreise sollte alles ins unbesetzte Gebiet geschafft werden, durch den Wirt selbst, einen Genossen, der dies freudig übernahm und es sich nicht nehmen ließ, den Löwenanteil selbst zu tragen. Es ließen sich die Tage ausrechnen, wo der D-Zug Papa nach Berlin bringen wird und der Lohn für Strapazen und Gefahren seiner wartet.

In diesem Vorgefühl der Freude ging es abends von der Wohnung eines vertrauten Genossen ins Versammlungslokal. Von meiner Anwesenheit waren nur wenige unterrichtet und nur zuverlässige Genossen eingeladen. Ich betrat froh angeregt den dunklen Raum, um alle Kämpfer zu begrüßen, doch statt des herzlichen Empfanges auf allen Gesichtern stummes Schweigen. Keiner rührte sich vom Fleck.

Der erste Gedanke, der mir ob dieses Gebarens aufstieg, war der, in einer Mausefalle zu sitzen, von Spitzeln und geheimen Polizisten umstellt, und dass die dort versammelten Genossen schon einen Entschluss gefasst hatten. Doch hatte ich keine Zeit, dem weiter nachzuhängen. Ein alter Bekannter kam auf mich zu und gab mir einen Wink, beiseite zu kommen. Mich bei der Hand nehmend und einen flüchtigen Gruß stammelnd, frug er: „Hast du Nachricht von deiner Frau? War sie gesund, als du weggingst?“ Ein zweiter Genosse sah meine Überraschung und konnte nicht länger an sich halten. Er empfing die Post von der Organisation. „Sag es ihm doch, dass seine Frau – gestorben ist“, kam es aufgeregt über seine Lippen. Ersterer überreichte mir stumm einen Fetzen Papier, ein Telegramm. Dort stand: „A. sofort benachrichtigen. Frau verstorben. V.“

Leben und Tod, Arbeit und Aufopferung – im Dorf der kleinen Leute wechseln sich Hoffnung und Verzweiflung ab. Als Johann, ein geachteter Mitstreiter, schwer erkrankt, erleben wir aus nächster Nähe, wie Krankheit, soziale Enge und menschliche Ohnmacht ineinandergreifen. In bewegenden Bildern erzählt Adam Scharrer in diesem Auszug aus „Maulwürfe“ vom Abschied eines Mannes, der trotz aller Mühsal stets versuchte, sein Leben „gscheit“ zu machen.

Bärbel gebar einen Jungen. Er bekam den Namen Wolfgang.

Am Sonntag drauf kam Jakob. Er ging zu Johann und kam ganz verstört wieder. „I glaub, der Johann macht nimmer lang …“

„Liegt er wieder im Bett?“

„Ja. Er schaut ganz gelb aus und su dürr in Gsicht und hat su stechende Augn.“

Johanns Lunge war seit langem nicht in Ordnung. Der Arzt sprach sich nie deutlich darüber aus. „Es ist möglich, dass es sich wieder verkapselt“, meinte er.

Wir blieben an dem Kammerfenster stehen und hörten Johann stöhnen.

Ein schwüler Tag. Die Kammer war dunkel, die Fenster zu, die Läden geschlossen. Als wir eintraten, kam Eva aus der Stube, dann auch der alte Röder. Die Alte war in der Küche. Johann fieberte und fror. Er lag unter schweren Federbetten. Eva sagte: „Is erst naumittogs su schlimm wordn. Vorgestern is der Doktor dagwest, er hat gsagt, er soll nur in Bett bleibn, und hat ihm Arznei verschriebn. Er is halt scho a paar Tog net in Haisl gwest, dös is halt a net gut, denk i. I wollt ihn scho a Klistier machn, ober er lässt si halt net afassn, wegn der Wundn, die is vorige Wochn wieder aufbrochn.“

„Hats nachn Doktor telefoniert?“

„I denk, der wird halt a net daham sa heit am Sunnta. Er is doch erst dagwest.“

„Jakob, lauf zum Neia-Wirt und telefonier. Wenn er scho sterbn soll, su elend soll er doch net vreckn, dass si ka Mensch um ihn kümmert!“

„Dös brauchst net denkn, Schorsch. Der Johann hat immer sei Ordnung ghat, mir hom nur denkt, er ka a bissl in Schlaf kumma. Die Afäll hat er in der letztn Zeit scho recht oft ghat. Die san immer wider vorbeiganga“, sagte der Alte.

Ich riss die Bettdecke hoch. Johanns Wäsche war schmutzig und schweißnass. Aus der aufgebrochenen Wunde stank der Eiter. Sein Gesicht war klebrig, sein Mund offen. „Bist du ’s, Schorsch?“, fragte Johann und versuchte sich aufzurichten, fiel aber wieder zurück. Er stöhnte vor Schmerzen. Ich riss das Fenster auf, verlangte Handtuch, Seife und Wäsche, wusch ihm Gesicht und Hände. Immer wieder versuchte die affengesichtige Eva die Kammertür zu schließen, wenn ich ein und aus ging. „Sog halt, wos d’ brauchst, Schorsch, i huls ’s“, sagte sie.

Johann wurde von einem heftigen Husten gepackt, hatte aber keine Kraft mehr. Er blieb wimmernd liegen. Jakob kam wieder: „Der Doktor kummt mit ’n Auto! Obs nu wos hilft, Schorsch?“

„’s wird vorbei sa, Jakob!“ Ein Gedanke schoss mir ins Hirn: Seine zwei Buben sollen ihn noch einmal sehen. Ohne zu fragen, wo sie waren, ging ich in die Stube.

Am Tisch saßen die alte Röder und der Beck. Auf dem Tisch standen der Bierkrug, einige angetrunkene Seidel, aufgeschnittener Schinken und Brot.

„Wo san di Kinder?“

„Die genga halt immer zeiti ins Bett“, sagte die Alte. „Wos solln s’ denn? Is er wieder schlechter?“

Johann erbrach sich. Auf die Stöße von innen folgte ein kläglicher Schrei. Dann war es zu Ende.

Eva rüttelte und schüttelte Johann und rief ein paarmal seinen Namen. Die beiden Kinder sahen schlafäugig auf ihren toten Vater und weinten.

Den Sarg für Johann kauften die Röder bei Hanfstängel, weil dieser ein Vereinskamerad von Johann war. Über Johanns Grab krachten Ehrensalven. In die Tafel am Denkmal wurde sein Name eingemeißelt.

Der Obstgarten der Röder war nun einer der größten im Dorf. Auf dem neuangelegten Hopfenacker waren neue Stangen, schnurgerade gesetzt. Johann hatte den Wahlspruch von Vater übernommen: „Wos i a mal mach, dös mach i glei gscheit!“ Auf dem Haus waren neue Dachziegel. Die gestrichenen Balken glänzten aus dem weißen Aufputz. Mit dem dritten Kind hatten sie nicht viel Arbeit; es ist, sechs Monate alt, gestorben.

Ein halbes Jahr später zog der Beck zur Eva. Er hatte bis dahin im Hirtenhaus gewohnt.

Die Zeichen stehen auf Aufbruch – ein eigenes Haus, ein gutgehender Laden, Zukunftspläne für ein Gasthaus. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Inmitten wirtschaftlicher Unsicherheiten und gesellschaftlicher Spannungen prallen familiäre Erwartungen, Besitzansprüche und Generationskonflikte unversöhnlich aufeinander. Adam Scharrer zeigt in diesem Auszug aus „Der Mann mit der Kugel im Rücken. Fragment eines Romans“ eindrücklich, wie brüchig das Fundament selbst scheinbar gesicherter Existenzen sein kann – und wie schnell familiäre Bande in offene Feindschaft umschlagen.

Nun wurde jedoch die Frage spruchreif, wer denn nun eigentlich der Besitzer dieses Häuschens mit dem gut florierenden Geschäft und allem Drum und Dran sein sollte. Von Rechts wegen war es Olga, und formal-juristisch hätte es sich auch schwer anders einrichten lassen. Es waren Verhandlungen zu führen mit der Gewerbepolizei bezüglich des Kaffeeausschankes und des Bierverkaufes, dann mit der Baupolizei bezüglich der Errichtung des Häuschens, schließlich mit der Gemeinde Daßdorf bezüglich der Eingemeindung. Die Durchführung solcher Verhandlungen und die unterschriftliche Verantwortung konnte natürlich nur Olga übernehmen, nicht ihr noch minderjähriger Sohn, denn auch die Gemeinde Daßdorf war in ständiger Sorge vor einem Zuwachs durch Eingemeindung, der der Gemeinde zur Last fallen könnte. Olga hatte es jedoch verstanden, ihren Plan mit Zähigkeit und Geschick zu realisieren, und als endlich die Kolonie „Neues Leben“ durch Aufsiedlung erschlossen wurde, waren zu dem Verdienst durch das Geschäft noch die Prozente durch den Verkauf der Parzellen für den Makler Abramowsky hinzugekommen, und um die Zeit, als Richard und Radtke sich ankauften, stand Olga eigentlich ganz gut da. Für ihren Bruder hatte sie als Ersatz die Parzelle erworben, auf der sie die große Sommerlaube für Kaffeegäste hatte errichten lassen. Als Kapital für weitere Pläne verfügte sie über rund dreitausend Mark, circa die gleiche Summe, die der Verkauf des Spielwarengeschäfts in Berlin nebst Wohnung eingebracht hatte.

Dies wäre ein ganz netter Rückhalt gewesen, auch wenn man die Verknappung der Kaufkraft durch die wie eine Seuche um sich greifende Arbeitslosigkeit mit einkalkulierte.

Nur hätte man sich nach der Decke strecken müssen. Olga steckte jedoch nicht allein unter dieser Decke, sondern ihr Sohn und genau genommen auch schon ein anderes weibliches Wesen namens Lieselotte Gruber, achtzehn Jahre alt, bis vor Kurzem Verkäuferin im Kaufhaus „Daßdorf“. Sie war das zweitälteste Kind von fünf Geschwistern, der Vater Gussputzer bei der Firma Schwartzkopff. Wenn auch ein bisschen Prahlerei mitsprach, wenn Lieselotte sich gelegentlich als „erste Verkäuferin“ bezeichnete, weil sie außer dem Inhaber die einzige Verkäuferin war, so war diese Bezeichnung dennoch in der Richtung korrekt, dass ihr in Abwesenheit des Inhabers ein Lehrjunge und ein Lehrmädchen unterstellt waren und dass man gut und gerne von einer Vertrauensstellung sprechen konnte. Als es Lieselotte jedoch nicht mehr möglich war, ihre Schwangerschaft zu verbergen, wurde sie von ihrem Arbeitgeber entlassen.

„Wie stellst du dir denn nur das Weitere vor?“, fragte Olga eines Tages ihren Sohn Adolf.

„Wir werden heiraten!“, antwortete Adolf.

„Heiraten? Und was weiter?“

„Du hast doch auch einmal geheiratet. Wirst also wohl wissen, was weiter“, sagte Adolf.

Olga war achtunddreißig Jahre alt, hatte noch kein graues Haar, war wohl als „schuldiger“ Teil geschieden, aber darauf pfiff sie. Bei einer Wiederverheiratung wiegt solches moralische Manko federleicht; was wiegt, das ist das Haus, das Geschäft, und Olga war in der Wahl ihrer Freier von keinem blinden Eifer besessen. Was ihr vorschwebte, war neben diesem Häuschen ein Gasthaus mit Fremdenzimmern. Über diesen Plan hatte sie mit Adolf des Langen und Breiten gesprochen, und die Frage war lediglich die, ob sie ihr mühsam erarbeitetes Kapital sofort bedenkenlos opfern oder vorsichtshalber noch ein Jahr warten wollten. Olga war entschlossen gewesen, das Häuschen mit dem Laden an Adolf abzutreten. Dreitausend Mark standen für den Bau des Gasthauses zur Verfügung, weitere dreitausend Mark waren Olga von der Brauerei versprochen worden als Darlehen; auf viertausendfünfhundert Mark belief sich der Kostenanschlag für den Bau, und zu einem Wirtshaus und zu einer solchen Wirtin, rechnete Olga weiter, würde sich auch ein Wirt mit entsprechendem Vermögen finden. Diese Rechnung war jedoch nun fragwürdig geworden, denn es ging nicht nur darum, dass vorerst drei Menschen ernährt werden müssen und dann vier, sondern auch darum, dass dieses junge Paar heiraten und sich hier einnisten wollte, und das heißt Kleider- und Möbelrechnungen bezahlen, Wirtschaftsgeld freistellen für eine zweite Familie; alles in allem einen Bleiklotz hinter sich herschleppen, sich selbst zur Großmutter herabwürdigen lassen und mit ansehen müssen, wie zwei nur auf ihren Vorteil bedacht sind. Olga sagte langsam und kalt: „Dass ihr euch hier nicht breitmachen könnt, siehst du doch wohl ein?“

„Wo denn sonst?“, fragte Adolf höhnisch.

„Das ist deine Sache“, sagte Olga. „Ich habe dich vor diesem Püppchen gewarnt, du hast nicht auf mich gehört, hast dich aufgeblasen, du seiest kein dummer Junge, und damit geprahlt, du wüsstest selbst, was du zu tun und zu lassen hättest, also nun tu und lass, was du willst.“

„Ich fordere mein Recht!“, sagte Adolf nun. „Lange genug hast du mich an der Nase herumgeführt, wenn du mir noch länger Sperenzchen machst und mich ins Gerede vor den Leuten bringen willst, dann holt dich der Teufel! Du möchtest Lieselotte natürlich am liebsten zu einer Abtreiberin abschieben, auch wenn sie dabei wegbleibt … Vielleicht würdest du das sogar selbst machen … Und nach außen dann immer die anständige Frau spielen.“ Und als Adolf sah, wie seine Mutter sich verfärbte und blass wurde wie Kalk, sagte er noch: „Du magst dich hundertmal auf hundert Urkunden berufen, aber wenn du es hart auf hart ankommen lässt, dann wirst du dich zu verdünnisieren haben, nicht ich und auch nicht Lieselotte.“

Die Klingel an der Ladentür meldete, dass jemand eingetreten war. Ein Junge forderte ein viertel Pfund Harzer Käse, eine Flasche Bier und vier Juno-Zigaretten und sagte: „Vater bezahlt übermorgen.“ Erst als der Junge mit den Sachen aus der Tür war, fiel Olga ein, dass sie den Eltern dieses Jungen nichts mehr borgen wollte, bevor nicht die alten Schulden bezahlt waren. Olga konnte sich nicht entsinnen, dass sie in geschäftlichen Dingen jemals so versagt hatte. Ohne Überlegung hatte sie dem Jungen die Sachen hingegeben; ein Glück, dass er nicht noch mehr verlangt hat, stellte sie erschrocken und doch befriedigt fest und schenkte sich einen Likör ein. Ihr war immer noch, als hätte ihr jemand einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gegossen. Sie hatte mit ihrem Sohn schon manchen Strauß auszufechten gehabt, immer gegen sein wachsendes Misstrauen ankämpfen müssen; aber letzten Endes doch immer mit Erfolg unter Hinweis auf praktische, geschäftliche Notwendigkeiten und durch die Vertröstung auf weitere Erfolge, wenn man „den Bogen nicht vorzeitig und leichtsinnig überspannt“, sondern alles sorgfältig in Rechnung stellt, was geschäftlich nützlich oder abträglich sein könnte. Sie hatten wiederholt erwogen, ob Adolf der Hitlerjugend beitreten sollte, und waren übereingekommen, vorerst noch abzuwarten. Jede voreilige, offene Parteinahme konnte einen Teil der Kundschaft verscheuchen, und bis dahin war es noch undurchsichtig, ob Hitler und sein Anhang sich als die ausschlaggebende Partei behaupten oder wieder absacken würde. Nun, wo sie vor der Frage standen, ob sie sofort mit dem Bau des Gasthauses beginnen sollten oder nicht, durfte man kein unbedachtes Risiko eingehen, auf die Gefahr hin, einen Teil der Kundschaft zu verlieren. Die scheinbare Übereinstimmung zwischen Mutter und Sohn in dieser und anderen Fragen hatte den wuchernden Gegensatz bis dahin überbrückt.

Lohnt es sich auch heute noch, die Texte von Adam Scharrer zu lesen? Ja, auch wenn die Daten ihrer jeweiligen Entstehung inzwischen schon einige Jahrzehnte zurückliegen. Dennoch lohnt sich diese Lektüre gleich aus mehreren Gründen.

Denn sehr klar und authentisch erzählt der Autor von den schwierigen Lebensumständen, die Menschen wie er schon seit ihrer Kindheit und Jugend erdulden mussten. Wer wissen will, wie eine solche Existenz Anfang des 20. Jahrhunderts ausgesehen hat, der kann es in den Texten von Adam Scharrer erfahren.

Ebenso klar setzt sich der Autor des ersten Anti-Kriegsbuch eines Arbeiters – die Rede ist vor allem von seinem 1930 erschienenen Buch „Vaterlandslose Gesellen“ – mit der Vorbereitung und dem Verlauf des Ersten Weltkriegs auseinander – sowie mit den Folgen für die kleinen Leute, für die Arbeiter und Bauern, die gegen ihre eigenen Interessen an die Front geschickt wurden. Und Scharrer zeigt eindrucksvoll, wem Kriege nützen und wem nicht. Scharrers Texte können auch für die Gegenwart und in der Auseinandersetzung mit neuerlichem Kriegsgerede eine wichtige Erkenntnishilfe sein.

Nicht zuletzt aber leben seine Bücher immer wieder auch von der Zusammengehörigkeit und Solidarität der von ihm beschriebenen Menschen sowie von ihrer Hoffnung auf Gerechtigkeit und Menschlichkeit – auch und gerade in schlimmsten Zeiten. Auch deswegen lohnt es sich heute noch, die Texte von Adam Scharrer zu lesen. Sie sind selbst Zeugnisse der Hoffnung. Und erinnern wir uns: „Es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun / Uns aus dem Elend zu erlösen / können wir nur selber tun!“, hieß es einst in der „Internationale“ …

Bleiben Sie ansonsten weiter vor allem schön gesund und munter und der Welt der Bücher gewogen. Die fünf neuen Sonderangebote sind bereits ausgesucht und werden gerade zum Verpacken zusammengestellt.

Auch in der nächsten Woche stehen weitere Texte von Adam Scharrer im Sonder-Angebot, darunter die 1979 im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar veröffentlichte Erzählung „Ippen IV“: Ein ehemaliger Gefangener wird zum Schiffskoch auf einem alternden Frachter, der unermüdlich die Ostsee kreuzt. Auf der „Ippen IV“ findet er nicht nur Arbeit, sondern ein Stück Würde, Kameradschaft - und Zeit zum Nachdenken. Mit scharfem Blick und leiser Ironie schildert Adam Scharrer das Leben einfacher Männer an Deck, ihre Träume, ihre Vergangenheit und ihre stille Hoffnung.

„Ippen IV“ ist ein literarisches Dokument über ein Schiff, das mehr ist als bloß Transportmittel: ein schwimmender Mikrokosmos der Arbeiterklasse, der zwischen den Stürmen des Lebens und der Geschichte standhält. „Ippen IV“ ist ein eindringlicher, poetischer Bericht vom Rand der Gesellschaft - und mitten aus dem Herzen der Menschlichkeit.

EDITION digital: Newsletter 30.05.2025 - Gegen das Vergessen: Einladung zu vier Texten des Arbeiterschriftstellers