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Ein unschuldiger Mörder, ein Weihnachtsbrief ohne Absender sowie ein Freund alles Wohlgebauten - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

(Pinnow 23.12. 2022) – Irgendwie üben Kriminalgeschichten eine eigenartige Faszination aus. Besonders dann, wenn es sich im wahrsten Sinne des Wortes um Mordsgeschichten handelt, also um Geschichten, in denen Menschen auf gewaltsame Weise vom Leben zum Tode gebracht oder anders formuliert um-gebracht werden. Auch wenn das in gewisser Weise ungerecht gegenüber den Opfern ist, lesen die Leute doch solche Mordgeschichten gerne. Gelegenheit dazu bieten gleich zwei der insgesamt fünf aktuellen digitalen Sonderangebote dieses Newsletters, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 23.12. 22 – Freitag, 30.12. 22) zu haben sind. So setzt sich Siegfried Stang in „Nebelkerzen“ mit den grausamen Haysom-Morden und der schwierigen Suche nach der Wahrheit auseinander. War der deutsche Diplomatensohn Jens Söring, der inzwischen wieder in Deutschland lebt, tatsächlich der Mörder oder doch nicht? Ist Söring ein unschuldiger Möder?

Auf spannende Weise lässt Wolfgang Eckert in „Sächsische Morde. Kriminalhistorische Streifzüge“ alte Fälle wieder aufleben.

Ein sächsisches ABC legt Wolfgang Eckert mit „Sachsen heiter betrachtet. Der fröhliche Reiseführer für alle, die Nachfahren des starken August an Elbe, Pleiße und Mulde sowie die „säggssche Gemiedlichkeed“ aufspüren wollen“ vor.

Ebenfalls von Wolfgang Eckert stammt eine Bilanz seines Lebens in Versen unter dem Titel „Rettet die Clowns!“

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Diesmal steht das Thema Genmanipulation im Mittelpunkt, allerdings im Gewand von utopischen Geschichten, die sich ebenso vergnüglich wie erschreckend lesen lassen:

Erstmals 1981 erschien im Verlag Das Neue Berlin „Psychoosmose und Schöne Bella. Zwei Science-Fiction-Erzählungen“ von Heiner Rank: Und darum geht es in „Die schöne Bella“: Bellas Chef Skiff ist ein Genie. Es war ihm gelungen, durch gezielte Manipulationen ihres genetischen Bauplanes aus einer lebenden Sumpfschnepfe einen Ochsenfrosch zu machen. Er hat Bella einen Heiratsantrag gemacht, aber sie liebt einen anderen. Als dieser von einem Flugeinsatz nach Hause kam, fand er statt Bella eine ausgewachsene Tigerin in seiner Wohnung. Ein Betriebsunfall in Skiffs Institut, erklärte ihm die Bella-Tigerin.

Auch der Text „Psychoosmose“ wartet gleich zu Beginn mit einer Überraschung auf: Karpinski war tot. Er hatte zu lebhaft über seine verrückte Auffassung von Seelenwanderung gestritten und dabei vergessen, den Steuerknüppel des Hubschraubers festzuhalten. Doch nun diskutiert ein Hund weiter, im Tonfall und mit den Argumenten Karpinskis. Aber lernen wir erstmal die schöne Bella kennen – und einen Mann, der diese wunderbarste Frau der Welt sehr liebt:

„Schöne Bella

Von See wehte eine leichte Brise. Kein Wölkchen zeigte sich am Himmel. Ich hatte dienstfrei, lag auf der Dachterrasse in der Sonne und dachte an Bella.

Bella war die wunderbarste Frau der Welt. Im Sommer vor zwei Jahren hatte ich sie kennengelernt, in einem Kaufhaus, als ihr ein Beutel Apfelsinen gerissen war. Ich hatte geholfen, die Früchte aufzulesen, und dabei hatten wir uns tief in die Augen geschaut. Ein paar Tage später war sie bei mir eingezogen.

Von Tag zu Tag liebte ich sie mehr. Zu Anfang war es ihre Schönheit, ihre natürliche Sinnlichkeit, die mich bezaubert hatten. Dann entdeckte ich, dass sie Verstand und Geschmack besaß und dass es kaum einen Mann gab, der sich der Wirkung ihrer Persönlichkeit entziehen konnte. Erstaunlicherweise schien sie es gar nicht zu bemerken, jedenfalls machte sie nicht den geringsten Versuch, mich mit der zahlreichen Konkurrenz unter Druck zu setzen. Diese Haltung war mir neu. Sie verwirrte mich. Ich suchte den Trick, der dahintersteckte. Endlich begriff ich, dass es keinen Trick gab. Dass Bella es gar nicht nötig hatte, die üblichen Mittel der weiblichen Selbstbehauptung auszuspielen.

Der Wind begann aufzufrischen, auf der Terrasse wurde es kühl. Ich ging ins Bad, duschte und zog mich an. Ich stellte Sonnenöl und Hautcreme in den Toilettenschrank und hängte das Badetuch zum Trocknen auf.

Ein fremdartiger Geruch geriet mir in die Nase. Er war nicht unangenehm, ein wenig streng vielleicht, animalisch-sinnlich, mit einer kleinen süßlichen Beimischung. Ich versuchte festzustellen, woher er kam, konnte aber den Ursprung nicht entdecken. Es war ein ganz eigentümlicher, mir völlig unbekannter Geruch. Ich nahm mir vor, Bella danach zu fragen, wenn sie nach Hause kam.

Aus der Kühlbar holte ich mir ein Bier, setzte mich vor den Fernseher. Gitarren und hüftenschwingende Hawaiimädchen. Gerade als ich anfing, mich ernstlich zu langweilen, hörte ich Bellas Schritte im Flur.

Ich lief ihr entgegen. Wir fielen uns in die Arme. Wie immer brachte mich die Berührung mit ihr um den Verstand. Ich hatte nur den einen Wunsch, sie auf die Arme zu nehmen und ins Bett zu tragen.

Sie ließ es nicht dazu kommen. „Genug geküsst“, sagte sie, schob mich sanft von sich, warf Hut und Handschuhe auf die Garderobe und wickelte ein in Seidenpapier gehülltes Päckchen aus.

Eine Orchideenrispe. Es waren etwa zwanzig goldbraune Blüten, am Rande und im Kelch weiß gefleckt. Ich konnte Orchideen nicht leiden. Ich hasste sie geradezu, wenn sie von Skiff kamen.

Skiff war Bellas Chef. Alle Welt hielt ihn für eine Zierde der Wissenschaft. Vor einigen Jahren war es ihm gelungen, aus einer lebenden Sumpfschnepfe durch gezielte Manipulationen ihres genetischen Bauplans einen Ochsenfrosch zu machen. Er hatte dafür den Nobelpreis bekommen und schwebte seitdem über den Wolken. Seine Beziehungen reichten bis in die höchsten Kreise. Man hatte sein Institut in eine Festung verwandelt. Geld spielte keine Rolle.

Was mich betraf, so konnte ich Bellas Bewunderung für diese „epochale Leistung“ nicht recht teilen. Mir wurde ein wenig unheimlich bei dem Gedanken, wohin seine genetischen Etüden eines Tages führen könnten.

Bella hatte die Orchideen in eine Vase gestellt.

„Komm“, sagte sie, „machen wir uns was zu trinken.“

Ich folgte ihr widerstrebend. Meine gute Laune hatte sich verflüchtigt.

Bella mixte zwei Gläser Dupont mit Eis und Mineralwasser. Wir setzten uns auf die Terrasse. Ich stellte das Glas neben meinen Sessel und starrte hinaus auf den wogenden Atlantik.

Bella wandte sich zu mir und suchte meinen Blick. „Was ist denn?“

Ich rümpfte die Nase.

„Sprich über deine Sorgen.“

„Du lässt dir von Skiff Blumen schenken. Schon zum dritten Mal.“

„Du weißt, er züchtet sie selbst. Ich kann sie nicht ablehnen, ohne ihn zu kränken.“

„Er stellt dir nach. Oder willst du mir erzählen, du hättest es nicht bemerkt?“

„Er ist nicht der Erste, der mir nachstellt. Ich kann es nicht ändern, also muss ich mich damit abfinden.“

„Kein Grund, ihn auch noch zu ermutigen.“

Sie lachte. „Ich habe ihn niemals ermutigt.“

„Wie soll man es nennen, wenn du seine blöden Orchideen annimmst?“

„Soll ich unser Arbeitsklima verderben wegen so einer Lappalie?“

„Es ist keine Lappalie. Der Mensch liebt dich.“

„Er kann gar nicht lieben. Was er Liebe nennt, ist allenfalls der Ehrgeiz, leistungsfähigen Nachwuchs zu züchten.“

„Woher weißt du?“

„Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht.“

Ich sprang auf. „Was? Wann war das?“

„Vor ein paar Wochen.“

„Warum hast du mir nichts davon gesagt?“

„Es schien mir nicht der Rede wert. Ich bekomme öfter einen Antrag. Wir haben uns doch genug über diesen Unfug unterhalten.“

„Was hast du ihm geantwortet?“

„Ich habe sein Ansinnen abgelehnt.“

„Das war alles?“

„Ich habe ihm gesagt, dass ich dich liebe. Dich und keinen anderen. Ich habe ihm gesagt, dass er bei mir niemals Erfolg haben wird. Niemals.“

„Wie hat er es aufgenommen?“

„Er ist kein Dummkopf. Er hat es mit Fassung getragen.“

„Vielleicht solltest du dir einen anderen Arbeitsplatz suchen.“ Bella kam zu mir, legte die Arme um meine Schultern und küsste mich auf die Stirn. „Skiff ist ein Neutrum“, sagte sie. „Er ist so unfähig, ein Gefühl zu entwickeln, wie ein Destillierapparat. Selbst wenn ich wollte, ich könnte wirklich nichts für ihn empfinden. Außer Respekt natürlich vor seiner wissenschaftlichen Leistung. — Weitere Fragen?“

Ich schüttelte den Kopf. Ihre warmen Lippen berührten die meinen. Ein Schauer von Wohlbehagen durchrieselte meinen Körper. Ich zog sie fest an mich.

Bella sprang auf die Füße. „Ich habe Hunger“, sagte sie. „Wollen wir kochen, oder gehen wir ins Restaurant?“

Ich entschied mich für das Restaurant.“

Und jetzt zu Karpinski, der offenbar tot ist. Oder etwa doch nicht?

„Psychoosmose

Karpinski war tot. Jeder von uns dreien wusste es. Er hatte zu lebhaft über seine verrückte Auffassung von Seelenwanderung gestritten und dabei vergessen, den Steuerknüppel des Hubschraubers festzuhalten.

Nach der Bruchlandung war es uns nicht gelungen, ihn aus den Trümmern zu befreien; aber so wie er nach dem Absturz ausgesehen hatte, musste er einfach tot sein.

Wir saßen zerschunden vor dem Kaminfeuer in einem Landhaus, zu dem wir mit der Sturheit von Motten, die zum Licht streben, durch Regen und Dorngestrüpp einen endlosen Steilhang hinaufgekrochen waren. Ich war nass bis auf die Knochen und völlig erschöpft, und als ich Karpinski hinter mir sagen hörte: „Wir setzen die Diskussion fort“, hielt ich das für eine Ausgeburt meiner überreizten Nerven. Karpinski war tot.

Dennoch drehte ich mich um. In der Tür stand der Hund der Hausherrin, ein zottiges schwarzes Tier. Vor zehn Minuten war sie mit ihm fortgegangen, um Hilfe zu holen.

Meine Kollegen Mirko und Petkus hatten sich wie ich halb aus den Sesseln erhoben. Stieläugig starrten wir den Hund an.

Das Tier trottete zum Kamin und streckte sich wohlig vor dem Feuer aus. Seine Bernsteinaugen funkelten uns an.

„Nun, liebe Freunde, hat die frische Luft euch gutgetan? Seid ihr jetzt endlich bereit, die Tatsache der Psychoosmose zur Kenntnis zu nehmen?“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters:

Ganz neu erschien soeben als Eigenproduktion von EDITION digital „Nebelkerzen. Die Haysom-Morde und die Suche nach der Wahrheit“ von Siegfried Stang: Das Buch befasst sich mit der Frage, wer die Haysom-Morde begangen hat und kann mit neuen Perspektiven und Schlussfolgerungen aufwarten.

Wegen seiner Grausamkeit erschütterte der Mord an Derek und Nancy Haysom 1985 in den USA viele Menschen. Zeitweise ging man von einem Ritualmord aus. Als Täter ermittelte die Polizei schließlich den deutschen Diplomatensohn Jens Söring, der 1986 ein Geständnis ablegte und erklärte, zu der Tat von der Tochter der Opfer, Elisabeth Haysom, angestiftet worden zu sein.

Später widerrief Söring plötzlich sein Geständnis und behauptete, die Tat für Haysom auf sich genommen zu haben, aus Liebe und um sie vor dem elektrischen Stuhl zu bewahren. Gleichwohl wurde er wegen der Morde verurteilt. Seither beteuert er seine Unschuld und stellt sich als Opfer der US-Justiz dar. Journalisten, Prominente und Politiker setzten sich für ihn ein, es bildeten sich Unterstützernetze. Sogar auf der Regierungsebene zwischen den USA und Deutschland spielte der Fall eine Rolle.

Die Bundesregierung unter Angela Merkel hat sich für Sörings Freilassung eingesetzt und diese 2019 auch erreicht. Über Jahrzehnte hat die Bundesregierung dem Inhaftierten eine Sonderbehandlung angedeihen lassen, die ebenfalls Gegenstand des Buches ist. Der Mordfall ist nicht nur wegen der öffentlichen Resonanz, sondern wegen seiner Komplexität und Vielschichtigkeit einer der faszinierendsten der letzten Jahrzehnte. Er beschäftigt nicht zuletzt die Medien bis heute, zumal sich auch Söring selbst mehrfach öffentlich geäußert hat. Hier der Einstieg in diese ebenso ausführliche wie spannende Lektüre:

“Vorwort

Der Doppelmord an Derek und Nancy Haysom vom 30. März 1985 ist einer der faszinierendsten Kriminalfälle der letzten Jahrzehnte, der in den USA und Deutschland bis heute Aufsehen und Interesse erregt.

Wer sich ohne Vorkenntnisse mit den Haysom-Morden befasst, stößt schnell auf ein Problem, und zwar die außergewöhnliche Komplexität und Vielschichtigkeit des Falles. Es gibt viele neue Wendungen und „Scheinbeweise.“ Dadurch entsteht der Eindruck von Unübersichtlichkeit.

Der Grundsachverhalt lässt sich wie folgt noch relativ einfach skizzieren:

Im Jahr 1985 wurden die Eheleute Haysom im US-Bundesstaat Virginia brutal ermordet und verstümmelt.

Die Polizei tappte zunächst im Dunkeln, man zog unter anderem einen Ritualmord in Erwägung.

Einige Monate nach der Tat flüchteten Elisabeth Haysom – die Tochter der Opfer – und ihr Freund, der gebürtige Deutsche Jens Söring, aus den USA. Sie wurden 1986 nach Betrugstaten in England festgenommen und gerieten aufgrund von sichergestellten Briefen und Tagebucheintragungen unter Mordverdacht. Söring gestand, den Doppelmord ausgeführt zu haben, wozu ihn seine Freundin angestiftet haben sollte.

Doch ab 1990, als er im Prozess sein Geständnis widerrief, verkomplizierte sich der anfängliche Sachverhalt enorm: Der Angeklagte setzte an die Stelle seines Geständnisses eine neue Version der Abläufe am Mordtag. Nun sollte plötzlich seine Ex-Freundin die Morde begangen haben, wahrscheinlich unterstützt von einem unbekannten Mann. Söring wollte die Tat nur aus Liebe auf sich genommen haben, und um Haysom vor dem elektrischen Stuhl zu bewahren.

Nach seiner Verurteilung führten Söring und seine Anwälte eine Vielzahl von Aspekten ins Feld, um seine Behauptung zu stützen, dass er unschuldig sei. Bald stand in Rede, dass er in den Ermittlungen und im Prozess rechtswidrig benachteiligt worden wäre. Im Laufe der Jahre wurden Gutachten in Auftrag gegeben und immer wieder angeblich neue Erkenntnisse publik gemacht. Unter anderem ging es auch um zwei Obdachlose als mutmaßliche Mörder. Bald hatte wohl nur noch derjenige den Überblick, der sich beständig auf dem Laufenden gehalten hatte. 2009 kamen noch DNA-Untersuchungsergebnisse hinzu, woraus Söring und seine Unterstützer schlossen, dass es neben Elisabeth Haysom am Tatort noch zwei unbekannte Männer gegeben haben müsse. Und im Jahr 2016 meldete sich ein neuer Zeuge zu Wort. Die Fülle der Behauptungen und Fakten „erschlägt“ einen interessierten Leser geradezu.

Als Autor des vorliegenden Buches habe ich mich deshalb um eine übersichtliche und – soweit möglich – leicht lesbare Darstellung bemüht. Dazu habe ich eine chronologische Schilderung der Geschehnisse gewählt. Im Rahmen dieser Chronik werden neben den Ereignissen auch die jeweils aktuellen Diskussionspunkte erörtert. Einige dieser Diskussionspunkte wurden in den Anhang des Buches „ausgelagert.“ Noch ein Hinweis: Angesichts der komplizierten Sachlage und der vielen tiefgründigen Diskussionspunkte war es nicht möglich, dem Leser hier und da eine gewisse „Schräubchenkunde“ und einige Spitzfindigkeiten zu ersparen.

Dem Leser mag auffallen, dass ab und an verschiedene Gesichtspunkte mehrmals aufgegriffen worden sind.

Es handelt sich dabei aber nicht um bloße Wiederholungen der Aspekte, sondern besagte Umstände wurden dann jeweils in einen anderen Zusammenhang oder in andere Argumentationskomplexe eingearbeitet, wenn sie dazu aussagekräftig waren.

Als ehemaliger Kriminalbeamter habe ich mich 2021 unvoreingenommen an die Untersuchung des spektakulären Falles gemacht. Mich reizte dessen einzigartiger Facettenreichtum, den man selten in einem Kriminalfall findet: Also eben jene Drehungen und Wendungen, die den Mordfall in der Beurteilung so schwierig machen.

Im Zuge meiner Recherchen zu dem Fall und den Ereignissen in der weiteren Folge habe ich versucht, so gut wie alle verfügbaren Informationen beizuziehen und auszuwerten. Es war, als arbeite man sich durch ein Dickicht vor. Schon bald kristallisierten sich jedoch Zusammenhänge und Erkenntnisse heraus, die verblüffend waren und den Fall insgesamt in einem neuen Licht erscheinen lassen. Manchmal drängte sich der Eindruck auf, dass immer wieder versucht worden war, die Wahrheit zu verdunkeln und zu vernebeln. Den Werfern von Nebelkerzen geht es – etwa bei Straßenkämpfen oder im militärischen Bereich – darum, andere zu verunsichern, durch Rauch den klaren Blick auf die Realität zu verstellen und die Orientierung zu erschweren. Genau diese Vorstellung beschleicht einen (im übertragenen Sinn), wenn man sich eingehend mit dem Sachverhalt der Haysom-Morde und ihrer Darstellung in der Öffentlichkeit befasst. An die Stelle von pyrotechnischen Gegenständen treten dabei manipulative und verunsichernde Elemente sowie scheinbar plausible Halbwahrheiten: „Nebelkerzen“ der Manipulation eben.“

Erstmals 1998 veröffentlichte Wolfgang Eckert im Verlag Das Neue Berlin „Sächsische Morde. Kriminalhistorische Streifzüge“: Orte großer Verbrechen und unglaublicher Justizirrtümer hat Wolfgang Eckert in 22 Kriminalgeschichten aufgesucht. Manche in den Akten überlieferte und gesühnte Schandtat lässt der Autor aufleben, zweifelt jedoch auch manchmal an der Schuld der vermeintlichen Täter. Von Kidnapping bis Kannibalismus reichen die schrecklichen Begebenheiten aus vergangenen Jahrhunderten, und viele Zeugnisse sind noch heute zu besichtigen. Hier eine dieser spannenden Mordsgeschichten:

”Das Mörderangebot

Die Wahrscheinlichkeit, dass Autoren Verleger durch Morddrohungen erpressen, ihr Manuskript zu veröffentlichen, ist sehr gering. In der ehemaligen Buchstadt Leipzig ereignete sich dennoch solch ein Versuch. Hätte der Verleger nachgegeben, wären diese sogenannten Autoren in arge Verlegenheit geraten, überhaupt ein paar annehmbare Sätze auf das Papier zu bringen.

Am Heiligabend 1908 erhielt der Verlagsbuchhändler Weber, welcher die „Neue Leipziger Illustrierte“ zum Druck brachte, einen Brief ohne Absender. An diesem Tag gab es noch einmal einen gewaltigen Stoß Weihnachtspost, der aus Zeitgründen nicht mehr geöffnet werden konnte. Weber kam so erst am 25. Dezember zum Lesen des Briefes.

Da hätte er jedoch bereits eine Forderung erfüllen müssen. Ein Mann namens Argus verlangte von ihm, er solle am Heiligabend bis 18 Uhr im Zeitungskiosk am Alten Theater 5 000 Mark in Gold hinterlegen. Und das als Vorschuss! Sobald ein bestimmtes Buch fertig ist, müssten dann noch einmal 5 000 Mark, ebenfalls in Gold, gezahlt werden.

„Schreiber dieses bietet Ihnen ein Werk an, wie es die Welt bisher noch nicht gesehen“, las Weber, „ein Werk von eminenter aktueller Bedeutung!“ Argus bot Weber zwanzig eigenhändig ausgeführte Morde an. Einen davon, gewissermaßen als Eignungstest für den Druck des Buches, schilderte er gratis bis in die Einzelheiten.

Es war der Doppelmord an einem Schriftsetzer und dessen Frau im östlichen Stadtgebiet Leipzigs. Nun wäre das bis hierher ein ganz lustiger Gag gewesen, wenn – ja, wenn sich dieser Doppelmord nicht tatsächlich zugetragen hätte …

Am 2. November 1908 wurden im Haus Windmühlenstraße 21 der Schriftsetzer Georg Friedrich (60) und seine Ehefrau Marie (59) tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Am Vortag hatten sich zwei vornehme Herren als Untermieter bei ihnen eingenistet und durch Postbote eine Geldauszahlung von 8,25 Mark hierher bestellt. Ihre Absicht war, den Postboten, der ganz sicher in seiner Tasche eine größere Menge Geld mitführte, in die Wohnung zu locken, ihn umzubringen und auszurauben. Als der Postbote klingelte und nach dem vermeintlichen Untermieter Schlegel fragte, waren die Friedrichs als mögliche Tatzeugen bereits tot. Aber der Postbote kam nicht allein. Im Treppenhaus hatte er einen Kollegen getroffen, der ihn begleitete. Dieser Zufall rettete ihm das Leben. Die Aktion misslang.

Im Brief an den Verlagsbuchhändler Weber war der Doppelmord derart detailliert beschrieben, dass es sich wahrhaftig um die Täter handeln musste. Damals durfte in der Presse die bestialische Weise der Ermordung nicht geschildert werden. Die Friedrichs galten nur als erschlagen. Im Brief aber wurde die Tat so mitgeteilt, wie sie die Kripo bei ihren Ermittlungen nachvollzogen hatte.

Argus fügte dem Brief, sollte Weber etwa auf den Gedanken kommen, die Polizei zu informieren, noch eine freundliche Bemerkung an: „Ihr Todesurteil würden Sie sprechen. Ihre ganze Familie würde ich zerfleischen.“ Weber hütete sich, solche Absichten zu unterstützen. Sein Vertrauen in die Erfolgsaussichten der Polizei war nicht besonders hoch. Aus der jetzigen Zeit gesehen, wirkt er da 1908 als ungeheuer modern. Außerdem schätzte er ein, dass die Erpressungsversuche noch lange gehen könnten und eine Polizeibewachung seiner Familie schon deshalb nicht ständig durchzuführen wäre. Er hielt ein gehöriges Maß an Selbstverteidigung für sicherer. Der Staatsanwalt, an den er sich gewandt hatte, war nicht von solcher gefährlichen Courage begeistert, was diesen nun ebenfalls als ungeheuer modern erscheinen lässt. Natürlich verständigte er als Staatsbeamter die Polizei. Weber wird die indirekte Kontaktaufnahme sicherlich beabsichtigt haben. Er selber suchte durch ein Zeitungsinserat Kontakt zu Argus. Darin ließ er wissen, dass ein Brief mit 500 Mark an dem betreffenden Zeitungskiosk bis Montag zur Abholung bereit läge. Wenn diese nicht erfolge, verständige er die Polizei. Auch er hatte eine zusätzliche Bemerkung: „Lassen Sie meine Familie und mich in Ruhe.“ Argus holte den Brief nicht ab. Es bewegten sich um diese Zeit zu viele Straßenarbeiter in der Nähe des Kioskes, obwohl es kaum etwas für die Straße zu tun gab. Der Erpresser war gewarnt.

Inzwischen hatte die Staatsanwaltschaft zu seiner Ergreifung 5 000 Mark Belohnung ausgeschrieben, und die Polizei fertigte nach Aussagen der beiden Postboten von der Windmühlenstraße ein Phantombild des vermutlichen Täters an.

Am 8. Januar 1909 erhielt Weber ein weiteres, diesmal mit Blutflecken verziertes Schreiben großspurigster Drohungen. Argus verlangte die Hinterlegung von 1 000 Mark in einer bestimmten Bäckerei als Vorschuss für das kommende weltberühmte Buch. Weber strich eine Null. Er gab nur 100 Mark ins Kuvert und tat wie geheißen.

Am vorgesehenen Übergabetag holte ein Eilbotenjunge das Geld ab und machte seinem Büro alle Ehre. Er eilte schneller als die Polizei.

Im Februar meldete sich Argus erneut bei Weber. Diesmal erhöhte er die Honorarforderung für sein künftiges Machwerk auf 30 000 Mark. Außerdem schilderte er sehr genau andere von ihm verbrochene Untaten, einen Raubüberfall auf eine Frau in einem Hausflur, auf einen Geldbriefträger, wobei das letztere Verbrechen vom Trick her dem aus der Windmühlenstraße sehr ähnelte.

Die Polizei begann allmählich, durch das unbekümmerte Weiterwüten des Täters öffentlich in Bedrängnis zu geraten und reagierte nervös. Viele überschnelle Zugriffe erwiesen sich als Blindgänger.

Was Weber und seine Familie in jener Zeit durchmachten, lässt sich erahnen. Sie werden abends nicht mehr auf die Straße gegangen sein und auch sonst ihre Tür nur vorsichtig geöffnet haben. Weber war kein übersensibler Mensch. Sein Selbstverteidigungstrieb zeigte sogar eine beachtliche Portion Mut. Immerhin aber zog sich die nervliche Belastung nun schon fast zwei Jahre hin. Beinahe wurde sie zur Gewohnheit.

Vielleicht fühlte sich Weber sicherer, weil er im Besitz eines Waffenscheins war. Am 12. August 1919 wollte er zu einem Jagdausflug aufbrechen, als es an der Tür klingelte.

Ein Junge brachte einen Brief, den Weber an seiner Aufmachung gleich erkannte. Weber gab sich ruhig, hastete aber dann die Treppe hinab, wo der Fahrer für den Jagdausflug bereits vor dem Haus im Auto wartete.

Langsam folgten sie dem Jungen. Sie mussten ewig warten und gaben fast die Hoffnung auf, da ging der Junge plötzlich auf zwei Männer zu und begann, mit ihnen zu reden. Weber stieg aus und näherte sich der Gruppe. Vielleicht trug er sein Jagdgewehr und hatte es sogar im Anschlag. Er war auf alle Fälle entschlossen, dem Drama ein Ende zu bereiten und auf eigene Faust eine Verhaftung vorzunehmen. Noch ehe er die Männer erreichen und sich zu erkennen geben konnte, stürmten sie auf die andere Straßenseite und flohen in Richtung Innenstadt. Weber rannte zum Auto zurück, und es begann eine Verfolgung, wie er sie bei seiner geplanten Jagd auf Wild bestimmt nicht erlebt hätte. Heute wäre sie durch den starken Autoverkehr und den von parkenden Wagen verstopften Straßen Leipzigs wohl kaum erfolgreich gewesen. Der Fahrer war sehr geschickt und kannte sich aus in der Stadt. Als sich die zwei Verfolgten trennten, gelang es ihm, einem von ihnen den Weg zu verstellen. Weber sprang heraus und griff energisch zu. Das andere erledigte dann die von Passanten informierte Polizei.

Der Gefasste hieß Karl Koppius. Schon vor einem halben Jahr hatte ihn die Polizei unter dem Verdacht, an der Erpressung Webers beteiligt zu sein, verhaftet. Aber er legte sie aufs Kreuz mit seinen Argumenten, und sie mussten ihn wieder freilassen. Der andere, dem die Flucht gelang, war sein Bruder Fritz Koppius. Als Gespann hielten sie sich für unaufgreifbar. Nun aber ging auch er am nächsten Tag der Polizei in eine Falle.

Webers Mut befreite seine Familie von einem Albtraum. Ob die Polizei jubelte, weil ihr ein Zivilist die Schau stahl, ist zu bezweifeln. Erhielt Weber die ausgeschriebene Belohnung? Es gibt keinen Hinweis. Ganz bestimmt dürfte sein Interesse am Verlegen von Mordgeschichten sehr gering gewesen sein.

Das Leipziger Schwurgericht begann am 5. Oktober 1910 mit der Verhandlung über die Verbrechen der Brüder Koppius. Karl, der wohl bestimmendere von beiden, hatte zu Beginn ihrer „Karriere“ nach einem ersten Raubüberfall seine Arbeit in einer Weinhandlung aufgegeben und wollte ein Restaurant kaufen. Aber das Beutegeld war eher verprasst. So musste er neues rauben, und der unheilvolle Weg mit seinem Bruder begann: Doppelmord, Mordversuch, schwerer Raub, versuchter Raub, Erpressung, Bedrohung … Zu leugnen, hatte angesichts der Tatsachen und den sogar schriftlich niedergelegten Geständnissen in den Briefen an Weber, keinen Sinn mehr.

Fünf Tage nach dem Verhandlungsauftakt wurde Karl Koppius zweimal zum Tode verurteilt. Hinzu kamen fünfzehn Jahre Zuchthaus und dauernder Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Eigentlich genügte schon ein Todesurteil. Aber die Rechtsprechung erforderte nun einmal nach dem vorliegenden Sündenregister eine solche bürokratische Auflistung.

Bruder Fritz Koppius erhielt fast dieselbe Strafe, statt der fünfzehn Jahre Zuchthaus jedoch nur sieben. Bei ihm änderte der Sachsenkönig das Urteil in lebenslänglich. Das wird ihm wohl auch nicht mehr Freude bereitet haben. Karl Koppius konnte sein dem Verleger Weber angepriesenes Manuskript, „… ein Werk von eminenter aktueller Bedeutung …“, nicht schreiben. Aber er setzte dem gar nicht so unintelligenten verbrecherischen Vorhaben eine grausige Pointe: Er wurde selber hingerichtet.“

Erstmals 1992 erschien im Tomus-Verlag München „Sachsen heiter betrachtet. Der fröhliche Reiseführer für alle, die Nachfahren des starken August an Elbe, Pleiße und Mulde sowie die „säggssche Gemiedlichkeed“ aufspüren wollen“ von Wolfgang Eckert: Der offizielle Reiseführer zu den Freistaatlern der neuen Bundesländer mit ihren historischen Persönlichkeiten, Behausungen, Landschaften und Gewohnheiten. Dieses sächsische ABC reicht von A wie August der Starke: Frühreifer Barockfürst. Verschwenderischer Freigeist. Etwa zwei Meter hoch, 260 Pfund schwer. Liebte alles Wohlgebaute aus Stein sowie aus Fleisch und Blut bis Z wie Zwinsch: Kümmerling. Schwächlicher, kleiner Kerl, den man nur außerhalb Sachsens findet. Denn: Im Freistaat gibt es keine Zwinsche! Und hier ein paar ausführlichere Beschreibungen zu den Buchstaben A und B:

„August der Starke (1670 - 1733)

Frühreifer Barockfürst. Verschwenderischer Freigeist in jeder Beziehung. Etwa zwei Meter hoch, 260 Pfund schwer. Liebte alles Wohlgebaute aus Stein sowie aus Fleisch und Blut, 16-jährig erster Verkehr mit Maria Elisabeth von Brockdorf. Mit 24 Jahren Kurfürst von Sachsen. Ruhte neben seiner Zweckehefrau Eberhardine und schlief mit einer Reihe delikater Damen aller Stände.

Agricola, Georgius (1494 - 1555)

Begründer der wissenschaftlichen Mineralogie, Geologie, Bergbaukunde und Hüttentechnik. Sein letztes Buch „De re metallica“ erschien ein Jahr nach seinem Tod 1556. Im sächsischen Glauchau als Sohn eines Färbers und Tuchmachers geboren, steht Agricola heute nahe dem Bahnhof auf einem Sockel und scheint sich seiner Laufbahn zu erinnern: Rektor der Lateinschule Zwickau, Stadtarzt, Apotheker und Leibarzt in Joachimsthal (heute CSFR), Stadtphysikus und regierender Bürgermeister von Chemnitz.

Albert, König von Sachsen (1828 - 1902)

Er schuf den Sachsen die Armee, liebte Huldigungen, Jagden und Paraden über alles und begründete somit eine Tradition, die von „führenden Persönlichkeiten“ nicht nur in Sachsen bis in die neueste Neuzeit gepflegt wurde. Das zweite sächsische Armeekorps, das 19. in Deutschland, wurde auf seine Anregung am 1. April 1899 gebildet. Ach, wären doch all solche Bildungen Aprilscherze gewesen!

Albrechtsburg

Rund 250 000 Besucher aus aller Welt pilgerten bisher alljährlich zur Albrechtsburg in Meißen, zogen gehorsam Filzlatschen über und schlitterten durch die Geschichte: 1471 ließen Kurfürst Ernst und sein Bruder Albrecht die Burg anlegen, 1483 ward sie vollendet. Nach den Zerstörungen des 30-jährigen Krieges und der erfolgten Restaurierung gab Kurfürst Georg III. der Burg den Namen Albrechtsburg. Was hätte Ernst wohl dazu gesagt?

Altenburg

Seit 1552 Skatkartenstadt in Thüringen, deren Bewohner so gern Sachsen sein wollten und nicht erhört wurden. Die „Möchtegernsachsen“ reizten mit der falschen Farbe. Es zeigte sich einmal mehr: Demokratie ist, dass man sagen kann, was man will, und wollen muss, was man gesagt bekommt.

Angelsachsen

1. Sachsen, die an einem trüben Altlastenwässerchen hocken und auf eine resistente Plötze hoffen.

2. Anglo-Sachsen, gemeinhin Engländer. Beiden Spezies ist ein gewisser Separatismus sowie ein Hang zu Robinsonaden gemein. Reif für die Insel?

3. Geangelte Sachsen. Spezies nach der Wende.

Ardenne, Manfred von

Hat nichts mit der westlichen Fortsetzung der Eifel, den Ardennen, zu tun. Der in Dresden ansässige Baron konstruierte 1926 den Breitbandverstärker. 1929 entwickelte er die Braunsche Röhre weiter und konnte dadurch 1930 das elektronische Fernsehen einführen. Dennoch guckten die Dresdner fast 40 Jahre lang in die westfernsehlose Röhre und wurden weltweit als Bewohner des „Tales der Ahnungslosen“ abqualifiziert. 40 Jahre ohne Mainzelmännchen!

Ardeppeln

Aus den zwei Worten „Erde“ und „Äpfel“ zusammengesetzter bildhafter Vergleich der Sachsen für Kartoffeln. Fragt man einen Sachsen, was er lieber isst, Erdäpfel oder Kartoffeln, so antwortet er: „Das is mir egal, Haubdsache, se sin midd Ardeppeln.“

Arzgebirgler

Volksstamm der Sachsen im Erzgebirge an der böhmischen Grenze mit eigener Nationalhymne seines „Häuptlings“ Anton Günther, die im Herbst 1989 Hochkonjunktur hatte: „’s is Feierohmd“.

Arzgebirgsch

Mundart im südsächsischen Raum. Ein Fernglas heißt dort Razieglas (Hilfsmittel, um etwas optisch heranzuziehen), ein Tablett Hietrabrättl (Hilfsmittel, um hinzutragen). Im Vergleich zu den Erzgebirglern glauben die Nordsachsen allen Ernstes, hochdeutsch zu sprechen.

Ästimiern

Was dem Sachsen unangenehm ist, ästimiert er nicht. Er beachtet es nicht. Ästimiert er etwas, so nur zusammengekniffenen Auges, so dass es aussieht, als ästimiere er es nicht.

Auerbachs Keller

Historische Leipziger Gaststätte, die bereits Goethes „Faust“, I. Teil, sponserte und darin mit Firmenwerbung und leeren Versprechungen auftrat: Es kommt kein Wein aus angebohrter Tischkante. 1530 von dem Leipziger Ratsherrn Stromer, der aus Auerbach in der Oberpfalz stammte, als Weinkeller angelegt. Deshalb Auerbachs Keller. Stromerkneipe wäre wohl nicht das Richtige gewesen.

Auersberg

1019 m hohe, westlich gelegene Konkurrenzerhebung zum Fichtelberg, vorwiegend aus Turmalingranit. Keine Schwebebahn! Nach Alkoholgenuss sei beim Abstieg der Zick-Zack-Weg nach Wildenthal empfohlen.

Augustusburg 1567 - 1572 erbaut

Geplante Jagdhütte der sächsischen Kurfürsten, die etwas groß geriet und zum Renaissance-Schloss ausartete. Heute ist die Burg Ausflugsziel für Konzert- und Kutschenliebhaber mit Hasensaal und Schlosskapelle. Im Küchenhaus stehen rund 140 zweirädrige „heiße Öfen“ aus der 100-jährigen Geschichte des Motorrades.

B

Bach, Johann Sebastian (1685 - 1750)

Der gebürtige Thüringer aus Eisenach wurde durch seine Anstellung als Thomaskantor in Leipzig zum Wahlsachsen. Ton- und kinderreichster Musiker aller Zeiten: Als Meister der Fuge schuf er 200 Kirchenkantaten (u.a.) und zeugte 20 Kinder.

Bad Brambach

Es gibt den Brambacher und das Brambacher in der Nähe von Oelsnitz im Vogtland. Das Brambacher ist ein radiummineralisches und eisensäuerliches sprudelndes Tafelwasser zum Trinken und Baden. Es empfiehlt sich, das Wasser vor dem Baden zu trinken und nicht umgekehrt.

Bad Elster

1848 erste Badesaison im damaligen königlich-sächsischen Staatsbad mit königlich-sächsischen Damen in der Wanne. Hundert Jahre später fühlten sich die ersten Arbeiter und Bauern als Patienten geadelt. Werden sie – nur weniger „flüssig“ – wieder auf dem Trockenen sitzen? Vorrangig Wasserbehandlung, zusätzlich Mineralmoorbäder. Die meisten Kurgäste behaupten nach wochenlangen Anwendungen: „Das Moor hat seine Schuldigkeit getan.“

Barbarine

Die Barbarine oder die „Bärbl“ in der Sächsischen Schweiz zu erobern, war bis 1975 nichts Unanständiges. Sie steht langbeinig und felsenfest in der Nähe des Pfaffensteines und wird auch Jungfernstein genannt, was nach den zahlreichen Besteigungen zu bezweifeln ist. Einst soll ein Pfaffendorfer Mädchen namens Barbara statt in die Kirche lieber in die Heidelbeeren gegangen sein. Der Fluch ihrer Mutter ließ sie zu Sandstein erstarren.

Bastei

Weit vorspringender Fels hoch über der Elbe mit fantastischer Aussicht über den Nationalpark und das Kletterparadies Sächsische Schweiz, den Laienkraxler trotz des eisernen Geländers nicht ohne Schwindel betreten. Wie viele Schwindler schon hier standen, ist allerdings nicht bekannt.

Bautzen

Sorbisch: Budysin, Hauptstadt der Oberlausitz am rechten Ufer der Spree. Frühzeitig holten die Bautzener die Spree durch Röhren hoch in einen Turm der Ringmauer und versorgten mit dieser alten Wasserkunst die Stadt. Bei ihnen sprühte das Wasser nicht aus den Leitungen, sondern spreete. Wer in Bautzen weilte, hat auch gute Erinnerungen. Wer in Bautzen „saߓ, nur schlechte. Daran waren die Bautzener nicht schuld.

Biedenkopf, Kurt

Ministerpräsident und bester Pfeifenraucher Sachsens. Dementsprechend gespalten sind auch seine Anhänger: Die einen lieben sein Regieren, die anderen seinen Rauch.

Blankenhain

Agrarmuseum in der Nähe von Crimmitschau. Es steht noch alles dort, wo es schon immer stand: Blockhaus, Stallgebäude, Bauernhof, Dorfbäckerei, Brauerei und Dorfschule. Wer sich in die Bänke zwängt, versinkt zurück in eine Zeit, da der Lehrer noch zum Rohrstock oder in die Tasten des Harmoniums griff, wenn er nicht weiter wusste.

Börsenverein

Kein Klub von Mitgliedern mit dicker Marie, sondern in der Nachwende einer mit schwindsüchtigem Säckel: Börsenverein der deutschen Buchhändler. 1825 in Leipzig gegründet. Für Autoren und Verlage aus dem beigetretenen Gebiet nimmt der Verein zum Vertreiben von Büchern diese Aufgabe allzu wörtlich.

Braunkohle

In Böhlen bei Leipzig, dem sächsischen Klondike, wird das „schwarze Gold“ an Ort und Stelle zu Brikett und Energie verarbeitet – und zu stinkendem Qualm. Ohne Braunkohle konnten die Sachsen bisher nicht leben, mit ihr leben sie bald auch nicht mehr.

Breuer, Peter (etwa 1470 bis 12.09.1541)

Spätgotischer Holzschnitzer aus Zwickau. Häufigstes Motiv war die „Marie mit dem Kind“. Breuers Werke strahlen Volkstümlichkeit aus. Umso tragischer die Zerstörung vieler seiner Arbeiten nach der Reformation durch das blindwütige Volk. Er soll den Marienplastiken das Antlitz seiner Frau Barbara gegeben haben. Sie konnte also mit Fug und Recht von sich sagen: „Ich bin eine Frau aus echtem Holz geschnitzt.“

Brockhaus, Friedrich Arnold (1772 - 1823)

Vom Tuch zum Buch. 1805 wurde der Tuchhändler in Amsterdam Buchhändler. Er kaufte das von Löbel und Franke begonnene Konversationslexikon auf und machte es zu einem Volksbuch. 1817/18 errichtete Brockhaus in Leipzig eine Druckerei und verlegte Autoren wie Schopenhauer, Rückert und Voß. Wie gut, dass Brockhaus nicht Meyer hieß. Bleibt die Frage: Weshalb gibt es eigentlich immer nur genau so viel Wissen, wie es in die Lexikabände hineinpasst?

Brücke

Vereinigung von Malern, die es sich zur Aufgabe machten, keine Vorläufer zu malen, sondern selbst Vorläufer zu sein – in dekorativen, farbharmonischen Bildern. Was nicht heißt, dass sie Vorläufiges schufen. 1903 wurde die „Brücke“ in Dresden von Heckel, Kirchner und Schmidt-Rottluff gegründet. Später traten Pechstein, Nolde und Otto Müller der Gruppe bei. 1913 löste sich die farbenfrohe Vereinigung auf. Ab 1914 war Feldgrau in Mode.

Brühl, Graf Heinrich von (1700 - 1763)

Ohne ihn hätte Dresden weder Liotards„Schokoladenmädchen“ noch Raffaels „Sixtinische Madonna“ zu bieten. Der Graf veranlasste den Erwerb der Gemälde und eines prachtvollen Palais. Geblieben sind die Brühl’schen Terrassen und eine offenstehende Rechnung über 4,6 Millionen Taler. Auf den Bildern klebt dennoch kein Kuckuck.

Burg Schönfels

Mittelalterliche Miniburg südwestlich von Zwickau mit originalgetreu restaurierter Kemenate. Ein Burgfräulein wohnt leider nicht mehr darin. Nicht mal restauriert.

Butterbemme

Die Berliner sagen „Butterstulle“, feinere Menschen erbitten „eine Schnitte mit Butter“, die Sachsen schwören auf ihre „Butterbemme“. Höchst beleidigt reagiert der Sachse allerdings auf die Verbalinjurie: „Du blöde Bemme!“´

Erstmals 2011 veröffentlichte Wolfgang Eckert im Mironde-Verlag „Rettet die Clowns!“: Der gebürtige Meeraner Wolfgang Eckert (Jahrgang 1935) legt nach seinen 2010 erschienenen Lebenserinnerungen „Das ferne Leuchten der Kindheit“ nunmehr eine lyrische Auseinandersetzung mit den Erfahrungen seiner Generation vor.

Eckert, der das Handwerk eines Webers erlernte und auch das des Schreibens beherrscht, wuchs in einer Welt auf, in der man das Wort „Realwirtschaft“ noch nicht kannte. Sein Unbehagen gegenüber der die heutige Welt dominierenden „Finanzwirtschaft“ ist ein durchgängiges Moment dieses Bandes. Doch zugleich sieht Eckert, der in der Tradition berühmter Vorgänger steht, in der Poesie jene Kraft, die ihm und uns ein humanes Überleben zu ermöglichen vermag. Witz und Ironie bietet Eckert auf, um uns für sein emanzipatorisches Projekt zu gewinnen: Rettet die Clowns, rettet die Poeten in Euch!

Hier einige Beispiele für seine lyrische Lebensrückschau:

Manegenzauber

Ein Zirkuslöwe hält den Reifen
und sein Dompteur, er springt.
Dem Zebra fehlen ein paar Streifen.
Der Clown ist ungeschminkt.

Ein Jongleur mit nur einem Ball.
Dem Seiltänzer fehlt das Seil.
Ein Elefant im freien Fall.
Das Publikum bleibt heil.

Ein Karnickel erfreut die Kinder.
Es zieht mit einem Griff
den Zauberer aus dem Zylinder.
Nur einer war’s, der pfiff.

Ein schwarzes Pferd namens Hektor
mit nur drei Beinen
reitet auf dem Zirkusdirektor.
Die Rhesusaffen greinen.

Jetzt fühlen sich alle betrogen
unterm schiefen Zirkuszelt.
Aber mal ehrlich, ungelogen:
So ist unsre schöne Welt.

Nirgendwohin

In manchen Tag
steige ich wie in ein Taxi.
Ich miete es.
Alles ist gemietet.
Ich glaube, zu fahren.
Mit mir wird gefahren.
Wohin will ich?
Nach Nirgendwohin.
Nirgendwohin gibt es nicht.
Ich fahre im Kreis.
Wie lange?
Bis der Tank leer ist.
Im Taxi auf Zeit
wachsen die Kilometer,
wächst der Preis,
den ich zahlen muss.
Also fahre ich zurück.

Am Ende sind wir alle
zu Hause.

Silvester-Modenschau

Das neue Jahr wird wie das alte:
Dieselbe schlechte Bügelfalte,
das Futter hängt zum Ärmel raus,
der Stoff am Rücken zieht sich kraus.
Es dröhnt aus großer Herren Munde:
Nobel geht die Welt zugrunde.

Wir brauchen Mut und Menschlichkeit,
so hieß es wieder landesweit.
Derselbe Lug, derselbe Trug.
Die Menschheit hat noch nicht genug.
Die einen zeigen sich im Frack,
die anderen gehen im Sack.

Der Modetrend der neuen Zeit
zeigt stets das alte Narrenkleid.
Wir können drehen es und wenden
und uns im Spiegel selber blenden -
Bald zeigt uns kalt der Januar:
Das neue Jahr wird, wie das alte war.

Rettet die Clowns!

Sie hören auf.
Ihre gemalte Träne
wird für eine Warze gehalten.
Keiner sieht in ihre Augen.
Grimassenschneider rauben
ihnen das Gesicht.
Ihr Lächeln gilt als Grinsen.
Wenn sie stürzen,
johlen die Massen.
Ihre Traurigkeit unter der Maske
passt in keine Werbung.
In ihren Worten nistet die Wahrheit
wie ein kranker Vogel.
Aber Verkleidung wird nicht erkannt,
weil sich jeder verkleidet.
Die feinen Späße der Clowns
müssen heute erklärt werden.
Wer einen Clown erklärt,
zerstört ihn.
Sie hören auf.
Rettet die Clowns!“

Und damit sind wir am Ende dieses Newsletters und zugleich fast am Ende dieses Jahres angekommen. Ein weiterer Newsletter erscheint allerdings noch einen Tag vor Silvester. Davor allerdings kommt morgen erstmal Weihnachten. Und dann ist auch die allerletzte Gelegenheit, ein kostenloses E-Book im diesjährigen Adventskalender von EDITION digital, der „Schweriner Volkszeitung“ und Hugendubel am Schweriner Marienplatz zu bestellen.

In diesem Sinne: Frohes Fest und viel Spaß bei der Lektüre, bleiben auch Sie den Rest des Jahres weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst.

Ach, und wann reisen Sie eigentlich das nächste Mal nach Sachsen?

EDITION digital: Newsletter 23.12.2022 - Ein unschuldiger Mörder, ein Weihnachtsbrief ohne Absender sowie ein