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Wir Beuteldeutschen oder Wie ich zum Widerstandskämpfer wurde. Satiren, Glossen & Feuilletons von Matthias Biskupek
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Preis E-Book:
6.99 €
Veröffentl.:
27.07.2021
ISBN:
978-3-96521-497-2 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 117 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Satire, Belletristik/Humorvoll, Belletristik/Politik
Belletristik: Humor
Humor, Satire, DDR, Wende, Sächsisch, Sachsen, Bayern, Politiker, Abzocke, Rennsteig, Stasi, Oppositioin, Widerstand
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Rennsteigwanderertypologie

Der Rennsteig heißt auch „berühmtester deutscher Bergpfad“, „herrlicher Höhenwanderweg in den Kammregionen des Thüringer Waldes“ oder bescheiden-klassisch „Erholungsraum von großer Längs- und geringer Querausdehnung“. Er wird derzeit wieder zum Symbol des deutschen Menschen: etwas eng, aber dafür wundersam hohl.

An manchen Stellen darf der Bergpfadnutzer unsere brausenden Straßenmobile hautnah erleben; an anderen wiederum verspürt er ganz unmittelbar den straffen Zugriff der technisch hochwertigen Holzentnahmeindustrie. Wipfelrauschen hoch droben, Wasserquatschen an den Füßen und Bächleingluckern tief drunten gibt es aber überall und überreichlich.

Viele Rucksackmitmenschen, die den Rennsteig hundertdreißig Kilometer lang fußläufig abarbeiten, lassen sich den Schritt und den Tritt organisieren. Sie erhalten ein Heftchen, in dem genau beschrieben steht, an welchen Rennsteigstellen man erschöpft ins Gras sinken kann, wo man bergziegenmäßig klettern muss und wo man mit Juhu aus dem Wald hervorbrechen sollte. Daran kann sich der vom Rucksack geneigte Wandersmann halten; er darf auch Wiesenblumen, Berggipfel und Wegweiserzustände klassifizieren.

Nun begegnen dem Erholungsläufer aber nicht nur Rot-, Muffel- und Mopedwild, sondern auch Neben-, Mit- und Gegenwanderer. Leider gibt es zu deren Klassifizierung noch kein ausreichendes Material. Daher bieten wir zur gefl. Nachnutzung eine RENNSTEIGWANDERERTYPOLOGIE an, mit deren Hilfe man schnell und bequem den rennsteigenden Wandersmann einordnen kann.

Apropos Wandersmann: Gewiss gibt es in gleichem Maße die Wandersfrau. Da aber der Rennsteig noch weitgehend patriarchalischen Strukturen verhaftet ist (vgl. DER Rennsteig statt DIE Rennstrecke) führen wir jeweils männliche Wanderform mit gelegentlicher weiblicher Nebenform an.

DER SIEBENFACHE heißt so, weil er den ganzen langen Weg bereits siebenmal abwanderte. Der DREIFACHE ist weniger profiliert; der ACHTUNDZWANZIGFACHE relativ selten, auch steht er unter Naturburschenschutz, weshalb wir diese beiden hier vernachlässigen.

Wohl dem Wanderer, der mit dem SIEBENFACHEN näher bekannt wird. An jeder schönen Stelle des Rennsteiges kann der SIEBENFACHE erläutern, dass der Weg hier vor drei Jahren geradliniger, die Aussicht unübersehbarer, das Rasthaus geschlossener war.

Der SIEBENFACHE sagt etwa achtmal pro Wanderstunde, dass er den Rennsteig eigentlich neunfach kennt, weshalb er auch jedes Mal den unscheinbaren Abzweig zu jenem Berggasthof, der nachmittags um drei noch Speisen anbietet, übersieht.

Den BLASENKÖNIG lernen wir erst während einer Rast richtig kennen und fürchten. Da zeigt er stolz zu kühlende Wundmale an den Füßen, erläutert, wo, wann und wie er das Sesambein überlastete und weiß ein Lied davon zu singen, wie sich bereits GOETHE den Fersenzwischenkieferknochen während einer Kickelhahnbesteigung wund sensibilisierte.

Es gibt auch den BLASENHERZOG, die BLASENGRÄFIN und den BLASENSEKRETÄR, die allerdings alle zum BLASENKÖNIG nur staunend aufsehen können.

Der WANDERINGENIEUR ist in den Rennsteigwäldern sehr zahlreich, kommt an manchen Stellen in Rudeln vor. Er ist bärtig, hat Wanderkartenmaterial in beiden Händen, sucht mit dem Fernglas unablässig den im Nebel verschwundenen Gipfel des Süßguschenkopfes, jenes charakteristischen Härtlings aus der Jungschweinerückenzeit, und vergleicht interessiert die neuen, schmucken Kilometerangaben der heutigen Wanderpapiere mit den überlebten Meilenzahlen der historischen Wanderbücher. WANDERLABORANTIN und WANDERMITARBEITERIN unterscheiden sich vom WANDERINGENIEUR durch zumeist fehlenden Bart.

DER WANDERGRUPPENKOLLEKTIVIST wünscht, dass alle Bürger guten Rennsteigwillens, die er trifft, in unverbrüchlichem Verband laufen. Er achtet darauf, dass sich alle gemeinsam vor der Gaststätte wartend einreihen, dass alle sich dann zur abendlichen Rennsteigruhe betten, wenn der WANDERGRUPPENKOLLEKTIVIST müde ist, und er schreibt auch in die Gipfel- und Hüttenbücher stets ein Lob auf die umsichtige und kollektive Wanderleitungsführung ein.

DER LEISTUNGSRENNSTEIGLER kennt den Rennsteig vom Guths-Muths-Lauf und will alte Zeiten stets neu unterbieten. Er steht nachts zwei Uhr dreißig auf, in der Wanderhütte vor Tatendrang und Leistungszwang rasselnd, packt seinen Rucksack wie einen Fallschirm, nimmt drei Kilo Zitronen gegen Skorbut zu sich, eilt sodann durch die nebelfeuchte Rennsteignacht und ist vier Uhr fünfundvierzig am Etappenziel, wo er die nächsten müden Wanderer der nächsten Rennsteighütte zum LEISTUNGSRENNSTEIGEN herausfordert.

Wenn der LEISTUNGSRENNSTEIGLER mit der Ehefrau hurtig dahineilt, so wird diese sich bald zur unumstrittenen BLASENKAISERIN qualifizieren.

DER ERLAUBNISWANDERER fragt zunächst, ob die Wege denn auch gesetzlich zugelassen seien. Er erläutert, in welche richtige Richtung man vor allem blicken dürfe, um wirklich wichtige Gipfel des Thüringer Waldes zu genießen und liest lustvoll erschauernd alle Verbotsschilder. Er fragt, ob die Bänke, die vom Rat der Gemeinde aufgestellt wurden, auch von Nichtratsmitgliedern genutzt werden können und meldet das Entzünden einer Taschenlampe unverzüglich bei der Waldbrand-Meldestelle von Berlin-Alexanderplatz.

DER HEIMATFORSCHUNGSREISENDE jauchzt laut auf, wenn er einen Dreiherren-, Johannes-R.-Becher-, Trinius-, Otto-Ludwig-, Straßenpflaster-, Weltfriedensfreund-, Sühne- oder Stein-Baukasten-Stein am Rennsteigrand sieht. Er erläutert Nebenwanderern die Einwohnerzahlentwicklung von Floh-Seligenthal, die gemeine Nutzerhöhe des Inselsberges, die Schneebeschaffenheit an der Rennsteigunterkante, die aufragende Horizontebene und die alles überragende Bedeutung der Südthüringer Verwaltungseinheiten in ihren gegenwärtig engen Grenzen, wie auch in jenen des wieder zu restaurierenden Thüringerreiches vom Jahre 531.

DER RENNSTEIGDOOFIE latscht einfach los, gemeinsam mit der RENNSTEIGTRINE, geht irgendwelche Wege, verheddert sich in den Wandermarkierungen, kennt nicht Karte, Nachtlagerordnung und Kneipenschlusszeiten und wundert sich eigentlich gar nicht mehr, wenn er nach sieben Tagen scheinbarer Rennsteigtour plötzlich mitten auf dem Bahngelände von Chemiewerk-Leuna-Haltepunkt-Süd steht.

Wir Beuteldeutschen oder Wie ich zum Widerstandskämpfer wurde. Satiren, Glossen & Feuilletons von Matthias Biskupek: TextAuszug