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Der Unteroffizier schaut sich um, und erst jetzt bemerkt Koopgaard, wie still es hinter ihnen geworden ist. Der Hauptmann und die anderen, die neben dem Okuruo stehen - alle spähen zu jener Kerbe.
»Qualmts dort nicht?«
»Tatsächlich!«
»Ein - Rauchzeichen?«
Aus den Augenwinkeln gewahrt Koopgaard seitab eine Bewegung, und dann sieht er, wie die Frau das Kind an sich drückt, wie sie es fortschickt, es behutsam von sich schiebt, wie sie die Kalebasse nimmt und das Öl, alles aus dem Gefäß, in das Feuer gießt.
Bevor die Flammen hochschießen, einen winzigen Moment lang, wirkt ihr Gesicht verjüngt, und im selben Bruchteil einer Sekunde erkennt Koopgaard auch, woher das Muster auf Stirn und Wangen rührt.
Schmucknarben, denkt er, eine Seltenheit bei den Herero.
Da ist er bereits geblendet, und eine Weile hört er nur, was geschieht.
»Tuka, Ninga, utuka! Lauf, Ninga, lauf!«
Das Weinen des Kindes, das Flehen seiner Mutter, Gepolter, Gewieher und das Geschrei des Hauptmanns ...
»Weg da! Der werd ich ...«
Als die Kolonne die Werft verlässt, ist es noch immer Nacht. Nach wie vor scheint der Mond, blinken Sterne, streicht die Luft kühl vorbei, und doch hat sich während der vergangenen Stunde in Koopgaard etwas erschreckend verändert.
Es war wie ein Schock. In all den Jahren, die er nun schon die Uniform des Kaisers trägt, hat er manches erlebt, manches mit angesehen; das aber ist, bevor er es mit eigenen Augen sah, für ihn unvorstellbar gewesen.
Noch hinnehmen konnte er, dass Böhm, als die Flammen hochschlugen, als klar war, was vor sich ging, die Frau, die das Feuerzeichen gesetzt hatte, niederschoss. Schließlich, so sagte sich Koopgaard, ist Krieg, und die Frau hat gewusst, was sie tut, hat sich geopfert.
Jedenfalls musste man davon ausgehen, dass Späher, die vermutlich in jener Schlucht saßen, nun gewarnt worden waren, dass der Alarm, den das Flammenzeichen ausgelöst hatte, längst weiterlief, dass er vielleicht schon Samuel Maharero, den Oberhäuptling und Führer der Herero, erreicht hatte. Der Trupp war bemerkt worden, soviel stand fest, und sicher würde er jetzt kaum mehr unbehelligt das Plateau erreichen.
Eigentlich selbstverständlich, dass die Kolonne unter diesen Umständen unverzüglich aufbrechen, dass sie versuchen musste, den Kriegern der Herero zuvorzukommen.
Um so unverständlicher - der Einfall von Böhm.
»Boschkow!«, rief der Hauptmann, in der Hand noch die Pistole, über den Leichnam der Frau gebeugt.
Irgendwo weinte das Kind.
Seine Mutter lehnte, in den Hüften verdreht, an einem der Ochsenschädel. Ihre Augen standen offen, große Augen mit einem - so schien es Koopgaard - durchdringenden Blick, und das Gesicht mit den Schmucknarben auf Wangen und Stirn lag voll im Licht der prasselnden Flammen.
»Boschkow, zu mir!«
Der Sanitäter salutierte vor dem Hauptmann, der sich aufgerichtet hatte, der nun zu der Toten wies.
»Wär das was?«
Boschkow begriff offenbar sofort. Er ließ einen Laut hören, wobei seine Schultern herabsackten, und räusperte sich.
»Na ja, wenns richtig präpariert wird ... Trotha könnte sichs aufspannen lassen, für seine Trophäensammlung oder als Lampenschirm oder so was.«
»Gut, Gefreiter. An die Arbeit!«
»Zu Befehl, Herr Hauptmann.«
Es klang nicht gerade begeistert.
Beim Pontok des Häuptlings wimmerte das Kind, und am Okuruo hatte sich inzwischen die gesamte Abteilung versammelt. Die Männer hielten die Tiere am Halfter und schwiegen.
Boschkow ging unwillig zu einem der Maulesel, zerrte und riss an einem Gepäckstück, kam mit der Tasche zurück, kramte darin und holte medizinische Geräte heraus.
»Aus dem Licht!«
Niemand stand im Schein, den der Mond und die Flammen auf das Gesicht der Toten warfen. Trotzdem befahl der Hauptmann den Männern, wegzutreten, sich und die Tiere zum Weiterreiten, für einen Eilmarsch herzurichten.
Sie kamen dem Befehl nur zögernd nach, zurrten am Zaumzeug und an den Gurten, mit denen die Traglasten befestigt worden waren, warfen immer wieder einen Blick über die Schultern, ungläubig, kopfschüttelnd.
Hoffmann sah weg.
Sein Gesicht war blass.
Er biss die Zähne zusammen.
Das Kind - es weinte, wimmerte, schrie.
Plötzlich fuhr der Hauptmann herum, riss die Pistole heraus und schoss.
Das Schreien brach ab, setzte von Neuem ein, schrill nun.
Koopgaard war starr vor Entsetzen. Er hörte den Hauptmann brüllen, sah, wie der schoss, wieder und wieder; das Geschrei des Kindes erstarb lange vor dem Gebrüll und dem letzten Schuss.
Boschkow präparierte unterdessen verbissen. Er war bereits beim Kinn angelangt. Ein Ruck, und er hielt die Haut vom Skalp bis zum Brustansatz in den Händen.
Noch immer schwieg Hoffmann. Sein Gesicht war weiß und starr wie bei einem Leichnam. Er atmete schwer, mit offenem Mund.
Erst als Boschkow das blutige Hautstück zusammengerollt und in der Kalebasse verstaut hatte, als er es mit Schnaps übergoss und dazu bemerkte: »Schade um jeden Tropfen« - da erst brach es aus Hoffmann heraus.
Der Hauptmann fiel dem Unteroffizier ins Wort, herrschte ihn an, befahl ihm zu schweigen. Vergebens; Hoffmann war wie von Sinnen.
Von dem, was er, zitternd vor Erregung, hervorstieß, verstand Koopgaard nicht alles, doch begriff er, dass Drohungen dabei waren, Drohungen gegen den Hauptmann, gegen Generalleutnant von Trotha, gegen die Kolonialmacht.
»Ich bin kein Sozialdemokrat, bin ich nie gewesen, aber nun - das schwör ich - werd ich dafür sorgen, dass Bebel und der Reichstag, dass die ganze Welt von diesen Verbrechen erfährt!«