Home
eBook-Shop (nur Verlagstitel)
Links
Warenkorb
Wessen Idee war es, den Ausflug nach Schwerin zu machen? Bisher hatte Nora von keiner der Chorfrauen eine befriedigende Antwort auf ihre Frage erhalten. Auch Ilona Rettig blieb vage: Der Vorschlag, hierher zu fahren, war auf einmal da. Wir fanden die Idee mit Schwerin auf Anhieb super. Spielte keine Rolle mehr, wer sie hatte. Ilona Rettig war eine vierzigjährige dralle Frau mit schwarzem Bubikopf und die tragende Altstimme im Chor.
Waren Sie enger mit Alina Vollmer befreundet?
Nein. Alina verstand sich mit allen, soweit ich es beurteilen kann.
Keine engere Freundin in der Truppe?
Ilona Rettig schüttelte den Kopf.
Hatte Alina einen Freund in Berlin?
Wirklich keine Ahnung. Können wir sie im Krankenhaus besuchen?
Oh, am Nachmittag möglicherweise. Stellen Sie sich bitte darauf ein, dass Alina im Koma liegt. Es tut mir sehr leid, dass Ihre Tour auf diese dramatische Weise endet. Noch was. War Alina zuvor schon einmal in Schwerin?
Dazu kann ich was sagen. Ich saß nämlich im Bus in der Reihe vor Alina und hörte unfreiwillig etwas vom Geplauder hinter mir mit. Alina erzählte ihrer Sitznachbarin, ich glaube es war Annett Schumann, sie wäre noch nie in Schwerin gewesen. Deshalb würde sie sich so besonders auf die Stadt freuen. Alina kommt ja eigentlich aus dem Westen. Und für die meisten Wessis ist der Osten ja immer noch unbekanntes Terrain.
Wie auch immer. Konzentrieren wir uns auf das gestrige Geschehen, bitte. Nach dem gemeinsamen Kuchenessen im Café Prag ist die Gruppe zum Schloss und spazierte durch den Park. Alina wollte durch die Laubengänge gehen, niemand wollte mit. Erinnern Sie sich daran?
Ja, Alina hatte sich auf der Stelle in die beiden Laubengänge verguckt; die fand sie toll. Na ja, wir sind zuvor alle zusammen durch und einmal reichte doch. Zumal es anfing zu nieseln. Die meisten von uns wollten weiter in die Altstadt. Bis auf Alina sind wir dann alle raus aus dem Schlosspark. Unser nächster Treffpunkt war um achtzehn Uhr zum Essen im Hotel. Auf Alina warteten wir vergeblich. Ilona Rettig tupfte sich mit einem Taschentuch die Augen trocken.
Nora ließ der Zeugin Zeit, sich zu fassen. Die Aussagen der Chorfrauen ähnelten sich: Alina wollte ein zweites Mal durch die Laubengänge durch, die anderen hatten keine Lust dazu. Erst beim Abendessen fiel auf, dass Alina fehlte und ihr Handy aus war. Nachdem eine weitere Stunde vergangen war, rief der Chorleiter kurz nach neunzehn Uhr die Polizei an.
Haben Sie andere Personen bei Ihrem Spaziergang im Park gesehen?, erkundigte sich Nora.
Ja, da waren Leute. Ein paar waren Chinesen, vermute ich. Jedenfalls Asiaten. Und ein Kind spielte Ball.
Um das Schloss gibt es linksherum den Burggarten. Rechts am Schloss entlang kommt man über eine kleine Brücke in den Schlossgarten. Frau Rettig, beschreiben Sie mir bitte den Weg, den Sie mit der Gruppe gegangen sind.
Zuerst sind wir in den Burggarten. Links, ja. Und dann
Moment. Den Burggarten kann man auf zwei Wegen durchqueren. Unten am Wasser lang durch eine Grotte und etwas oberhalb. Wie sind Sie gelaufen?
Eine Grotte habe ich nicht gesehen, dann sind wir wohl oben lang und nachher weiter über diese Brücke in den großen Park.
Also in den Schlossgarten, hielt Nora fest.
So war es. Ach, der schöne Schlossgarten. Da war doch mal die BUGA, oder?
Ja, aber die ist schon ein Weilchen her. Frau Rettig, denken Sie an gestern, als der Nieselregen einsetzte.
Ja, zu dem Zeitpunkt waren wir in Höhe dieses Pavillons. Da drin ist ein Café, glaube ich. Von dort sind wir alle umgekehrt. An den Laubengängen ist Alina zurückgeblieben, und wir anderen sind raus aus dem Park. Erneut schluchzte sie heftig auf.
Nora wartete einen Augenblick, bis sie fragte: Welchen Ausgang wählten Sie?
Na, wieder über die kleine Brücke und später die Schlossstraße runter. Sie stockte. Heute wollten wir alle das Schloss besichtigen. Und nun Alina schlimm das Ganze. Tränen liefen über ihr Gesicht.
Die sehen wir nie wieder in Schwerin, dachte Nora bei sich.