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Ausschnitte aus Rezensionen
Seit um die Mitte des 19. Jahrhunderts die wissenschaftliche Traumforschung sich mit den nächtlichen Phänomenen zu befassen begann, sind viele Traumprotokolle angefertigt und Traumsammlungen veröffentlicht worden. Das „Traumprotokoll“ ist inzwischen zu einer eigenen literarischen Textgattung geworden. Allerdings sollte man unterscheiden zwischen der „strengen“ Form des Traumprotokolls, in dem das Traumgeschehen möglichst gleich nach dem Erwachen festgehalten und unverfälscht wiedergegeben wird und Traumprotokollen, die zur Grundlage für literarische Traumerzählungen dienen. Beispiele für das letztere Verfahren sind die Sammlungen von Wieland Herzfelde, Franz Fühmann und anderen. Im Deutschen wurde die „strenge“ Form durch so bedeutende Autoren wie Rudolf Leonhard, Heinar Kipphardt und Theodor W. Adorno verwendet. Zu diesen Vorgängern gesellt sich nun Peter Arlt mit seinen „Traumläufen im Irrgang“. Sigmund Freud hat in seiner „Traumdeutung“ zwischen „manifestem Trauminhalt“ und „latenten Traumgedanken“ unterschieden. Für den Analytiker ist allein der latente Inhalt von Bedeutung. Für den Leser von Traumprotokollen gibt es aber keine Zugangsmöglichkeit zum Latenten. Wir müssen uns, wie auch der Träumer selbst, mit der Traumoberfläche begnügen. Die allerdings ist eine beziehungsreiche, welthaltige und alle Winkel der Person ausleuchtende Bilderkaskade, die durch die Mittel der Traumarbeit (Verdichtung, Verschiebung, Symbolisierung usw.) aus psychischem Grundmaterial gestaltet wurde.
Peter Arlt ist zu danken, dass er manches, was allzu persönlich erscheinen könnte, nicht unterdrückt hat, und dass er in mutiger Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst alle Facetten seines Traumlebens offengelegt hat. Die 379 Träume stammen aus einem Zeitraum von 45 Jahren und befassen sich mit den individuellen Problemen, mit den politischen Entwicklungen in seiner Umwelt sowie mit Kämpfen und Auseinandersetzungen im künstlerischen Bereich, die den Träumer bewegt haben. Diese Weltbedingungen sind jedem Leser vertraut, und das Wiedererkennen des Eigenen im Fremden ist nicht der geringste Reiz bei der Lektüre.
(…) Das Material hat Bedeutung weit über die Individualität des Träumers hinaus. Poetische Verfahrensweisen und spezielle künstlerische Ausdrucksweisen sind erkennbar, so wenn disparate Gegenstände und Vorstellungen in EINEM Traumgegenstand verdichtet sind, wenn ungewöhnliche und vieldeutige Bilder und Metaphern erscheinen. Alles ist in einer präzisen und klaren, auf Kürze bedachten Sprache dargestellt, was das Lesen besonders erfreulich macht. (…)
Ulrich Goerdten, Germanist und Bibliothekar (Marginalien, 1, 2018, Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie der Pirckheimer-Gesellschaft)
Traum und Literatur
(Die) 379 Traum-Protokolle (…) erfüllen auf originelle Weise ein Roman-Kriterium, sind also in der Tat romanhaft: begleiten fast ein Halbjahrhundert lang - parallel zu tagtäglichem Erleben – (Arlts) Lebensspuren, das gleichfalls vielfach verschlungen und zudem auf „surrealistischen“, die Real-Welt ergänzenden, zumindest akzentuierenden Pfaden.
(…) dank der 15 ¼ Druckseiten unterm tief-stapelnden Titel „Einleitung“, de facto ein Essay, (dessen) Teile – das Träume-Material und Deine materialbezogene Deutung – auf wissenschaftlich-sachliche, nachprüfbare Weise und dank radikaler Aufrichtigkeit selbst bei heiklen Intimitäten glaubwürdig und überzeugend wirken und sich zwanglos punktuell dem „irren“ Zeitenlauf jüngster mitteleuropäischer Jahrzehnte zugesellen, das verleiht ihnen sowohl Charme wie historisches Gewicht.
OM Dr. med. Dietmar Beetz, Schriftsteller (Internet-Plattform der Leibniz-Sozietät, August 2017)
Die Ehrlichkeit des Träumers
Träume und Literatur? Gewiss (…) Der Gothaer Kunstprofessor Peter Arlt (…) ist als Autor von Künstlermonografien und Kurator bekannt geworden (…)
Der Rezensent möchte sich dieser Meinung anschließen: „Ich bewundere dabei die Erinnerungsfähigkeit, Ihren Mut und Ihre Offenheit.“
In den Träumen kommen Personen der Zeitgeschichte vor - Gorbatschow, Goethe, Hanns Cibulka, Obama, Christa Wolf - oder auch Arlts einstiger Kollege Rudolf Kober. Manche werden durch Kürzel anonymisiert. Beeindruckend die sprachliche Klarheit, in der Arlt seine Traum-Fetzen wiedergibt. (…) Eine Rolle spielen vor allem in den frühen 90ern Situationen, in denen der Träumende sich verteidigen muss, vor Kollegen, völlig Fremden, Westdeutschen aller Art, Reaktion auf die Evaluations-Prozesse an Ost-Universitäten. Sehr viele Träume haben einen erotischen Hintergrund, die zum einen durch Namen wie Freya oder Tina geprägt sind, natürlich auch durch unbekannte Frauenkörper oder kopulierende Katzen. Peinliche Episoden spart Arlt nicht aus (…)Der wohl meistgeträumte Ort ist Erfurt, Arlts Arbeits-Refugium, Galerien und Museen (…) Was Träumer Arlt oft gelingt: Verblüffung und Pointen, Lebens-Bilder, schief gesetzt und dadurch seltsam geradegerückt. Eine Kurzprosasammlung, die den Vergleich mit Namen wie Günter Kunert nicht scheuen muss.
Matthias Biskupek, Schriftsteller, Palmbaum, Literarisches Journal aus Thüringen, Heft 65, 2017
Die Träume des Peter Arlt
(…) Das auf dem Umschlag abgebildete Gemälde von Siegfried Otto-Hüttengrund „Hommage à Amerigo Vespucci“ verbildlicht stimmig das Geheimnisvolle, das jedweder überraschenden Entdeckung, auch der aus dem Unterbewusstsein, innewohnt. Auf 180 gut lesbaren Seiten hat er seine seit vielen Jahren im Schlaf von seinem Unterbewusstsein in´s Hirn gespülten Imaginationen sachlich und oft detailreich aufgeschrieben, nahezu emotionslos, um damit die Wirkung der Absurdität zu bestärken. Es findet sich ein ganzer Kosmos von Fantasien, Vorstellungen, Visionen, Wünschen, Sehnsüchten, Erlebnissen, Befürchtungen und Ängsten, die er mit großer Offenheit preisgibt und die sich auf oft recht irrationale Weise miteinander verquicken.
(…)Da begegnen ihm in merkwürdigen, surrealen Situationen Helmut Kohl in einer kleinen Buchhandlung, Angela Merkel im Fahrstuhl, Wilhelm Pieck stellt er seinen Sohn vor, George W. Bush benutzt die Toilette in seinem Zelt und Karl Theodor von und zu Guttenberg hilft ihm mit einer Handvoll Grammophonnadeln aus. Einmal trägt er den deutschen Papst Benedikt XVI. wie ein Christophorus auf seinem Rücken durch Erfurt, im Fernsehen sieht er Erich Honecker mit Lockenwicklern im Haar und Gerhard Schröder erklärt er, dass der keine sozialdemokratische Politik mache.
(…) Die unterbewussten, erotischen Traumvorstellungen ziehen sich in vielen Spielarten durchs Buch, offenbaren so neben dem Wissenschaftler und politisch aktiv Interessierten auch den Mann mit seinen geheimen, sexuellen Ur-Sehnsüchten.
Winfried Wolk, Bildender Künstler, Ossietzky, Heft 21, 2017
(…) Gleichsam ein Leben lang protokollierte Arlt Bilder und Ereignisse aus dem Unterbewusstsein, in denen Reales zum Surrealen sich wandelt. Sehnsucht und Begehren ziehen sich konsequent durch alle Jahrzehnte, schöne Frauen, erlebte wie erträumte, kehren dabei regelmäßig wieder.
(…) Selbstbefriedigung und Oralverkehr tauchen im Schlaf auf, Gruppensex und eine erotische Familienfeier. In einer im weiteren wie engeren Sinn literarischen Tradition von Traumprotokollen hielt Arlt all das wie alles andere nüchtern und distanziert, aber eben auch unverblümt fest. (…)
Seine Traumwelt zeigt sich auch sonst von seiner Kunstwelt durchdrungen. (…) Gerhard Richter hat einen Tizian übermalt, und es gilt zu entscheiden welches der Bilder nun wichtiger und wertvoller ist. (…)
Peter Arlt trifft Helmut Kohl in einer Buchhandlung, wo der ihm den „Staatsvertrag“ signieren soll, bis sich der Buchtitel plötzlich als „Staatsverrat“ entpuppt. (…) Vorsichtshalber erwähnt Arlt, die Traumurteile über handelnde Personen unterschieden sich von denen im Wachzustand oft erheblich. (…)
Dass sich ein „Lebensroman in Träumen“ erzählen lässt, wie das Buch im Untertitel heißt, beglaubigt Arlt dabei aber ziemlich eindringlich. Und nachvollziehbar reklamiert er, was Frank Castorf über das Theater sagte, auch für den Traum: Er sei „ein Raum für Verantwortungslosigkeit“.
Michael Helbing, Thüringer Allgemeine, 16.12.2017, und Thüringische Landeszeitung, 04.01.2028
Nachtnotizen
Deutlich seltener als literarische Tagebücher, die ganze Regalmeter in den Bibliotheken füllen, sind Nächtebücher. Der emeritierte Gothaer Kunstprofessor Peter Arlt hat ein solches veröffentlicht. Entstanden ist es im Laufe von fünf Jahrzehnten, während derer Arlt nicht etwa Erlebtes und Gedachtes aus seinem zweifellos ereignisreichen Alltag als Kunsthistoriker, Kurator und Buchautor niederschrieb, sondern - seine erinnerten Träume.
Noch außergewöhnlicher als die Idee, einen »Lebensroman in Träumen« zusammenzutragen, ist Arlts tabuloses Vorgehen selbst bei der Wiedergabe explizit sexueller Träume oder unbewusst imaginierter Handlungen, die im Wachzustand, wenn nicht strafbar, so doch gesellschaftlich geächtet wären. »Das schmerzhafte peinliche Nacktmachen der eigenen Seele«, schreibt der Autor im Vorwort, »muss freilich als unabdingbarer Preis der Annäherung an die Wahrheit betrachtet werden.«
(…) »Ich finde es bemerkenswert«, schrieb etwa Christa Wolf, »wie in den Inhalt der Träume die politische Wende Eingang gefunden hat«. Häufig kreisen Arlts Träume aus jener Zeit, wenn auch sublim, um »Verbleiben bzw. Ausscheiden« wissenschaftlicher Kader, um die »Gefahr des Absturzes«, auch um die Abwertung von Kunst aus der DDR.
(…) Wichtiger als der Bezug zu den »Tagesresten« ist dem Autor aber die Hoffnung, dass in den Träumen etwas »Sinnbildhaftes« und ins Allgemeine »Übertragbares« erkennbar werde. Schließlich sieht er in der »Traumarbeit« ein »vielfältiges Arsenal künstlerischer Techniken und Mittel« gleichsam ästhetisch walten. (…)
Martin Hatzius, neues deutschland, 11.01.2018