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Spurensuche. Geschichte und Geschichten. Über das ehemalige Quarantäne- und Wohnlager Losten und den Friedhof Moidentiner Wald von Barbara Kühl
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Preis E-Book:
5.99 €
Veröffentl.:
02.05.2012
ISBN:
978-3-86394-252-6 (E-Book)
Sprache:
deutsch
Umfang:
ca. 126 Seiten
Kategorien:
Belletristik/Geschichte, Belletristik/Krieg & Militär, Belletristik/Familienleben, Belletristik/Medizin
Historischer Roman, Kriegsromane, Familienleben
Umsiedler, Flüchtlingslager, Quarantänelager, 2. Weltkrieg, Losten, Moidentin, Mecklenburg, Typhus
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"Ich muss davon erzählen! Ich muss!", sagt der hochgewachsene, für sein Alter außerordentlich sportlich wirkende Mann. "Es gehört für mich einfach zusammen, das und Losten. Es war wie ein langer, bedrückender Albtraum, seit mehrere kranke Kameraden und ich am 5. November 1945 aus sowjetischer Gefangenschaft entlassen wurden..."

Seine Odyssee hatte viele Stationen, vom Tod einiger Kameraden über das Aufweichen von schwarzem, hartem Brot mit Schnee, vom wunden Gaumen und den Visionen vom guten Essen, vom Entfernen aus dem Zug in Polen, dem Marsch zu Fuß und dem Auffanglager in Frankfurt/Oder und schließlich der Mitteilung, Schlesier, Pommern und Ostpreußen könnten nicht nach Hause, weil die Gebiete jetzt zu Polen gehörten. Was nun? Erneute Flucht und Aufgreifen durch die Militärpolizei in Berlin, endlich Abschieben mit Transport nach Mecklenburg.

"In all dem Durcheinander, der Sorge um meine Eltern, der Suche nach Essbarem und den ersten Anzeichen einer schweren Erkrankung vergaß ich sogar meinen Geburtstag, der mit dem Ankunftstag im Lager Losten übereinstimmen könnte, dem 3. Dezember 1945. Ich fühlte mich "weit weg von mir selber". MOIDENTIN las ich dann auf einem Schild beim Halt in einer fremden Gegend, und ich erinnere mich, wie wir Ankömmlinge auf schmalem Steg aus dünnen Fichtenstämmen einen Bach überquerten und wenig später in Wald eintauchten. Der Weg erschien mir endlos. Nein, Schnee lag nicht, aber es war schneidend kalt. Ich hab's behalten, weil ich alle Augenblicke "aus der Hose" musste. Vom Lager war nichts zu erkennen in der winterlich-schwarzen Nacht und aus der Hütte, in die ich eingewiesen wurde, quollen der Gestank ungewaschener Menschen und Kleidung und ein Hauch von Verwesung. Aber auch Wärme prallte auf meinen ausgezehrten, vor Kälte und Schwäche schlotternden Körper, und wie ein Tier drang ich ein, stieg über die Leiber von Greisen, Frauen, Kindern und Landsern und landete mit sicherem Instinkt auf dem Ofenblech. Hier war Wärme, hier war Geborgenheit, hier war ein Stück Heimat. Plötzlich fürchtete ich nichts und niemand mehr und würde diesen von mir okkupierten Platz mit allen meinen Kräften verteidigen, wenn er mir streitig gemacht werden sollte. Den Rest der Nacht verbrachte ich entweder vor dem aus Ziegeln gemauerten Ofen, zusammengekrümmt und zitternd, oder irgendwo draußen mit krampfendem Leib. Den Weg zur Latrine schaffte ich gar nicht erst.

"Typhus!", war die Diagnose eines Sanitätsgefreiten, der sich Dr. H..... nannte und mich untersuchte. Er veranlasste meine Isolierung und den Abtransport in einem mit Stroh ausgepolstertem Leiterwagen, zusammen mit einem Mädchen aus dem Lager und einem älteren Soldaten.

Die Typhusstation in der großen Stadtschule von Wismar erschien mir wie der Himmel auf Erden, und Schwester Hannelore Sch... war mein persönlicher Engel. Was sie mir alles zugesteckt hat! Verwöhnt hat sie mich und aufgepäppelt, mir das Unerträgliche erträglich gemacht und wohl auch dafür gesorgt, dass ich eine "Zugabe an Aufenthalt" bekam. Hier habe ich übrigens mehrere Suchanzeigen aufgegeben und nach zermürbendem Hin und Her vom Aufenthaltsort meiner Eltern und der Großmutter erfahren.

Nach Losten bin ich nicht zurückgekehrt, auch später nicht. Irgendetwas hat mich bis heute davon abgehalten. Vom Lager sind ohnehin wohl kaum Spuren geblieben, und der Friedhof - ich weiß nicht, ob ich das ertragen könnte..."

 

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